Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Zwergadler. Keilſhwanzadler. 293

unſer Zwergadler, ſind abgerichtet , aus einem Haufen Nummern, die der betreffende Glü{8ritter ihnen vorhält, einzelne mit dem Snabel herauszuleſen und dieſe fomit zu wählen. Man ſcheint der Anſicht zu ſein, daß dur ſolches Verfahren das Glück im eigent: lichen Sinne des Wortes vom Himmel herniedergebraht werde.

Ein unſerem Steinadler ebenbürtiger Raubvogel Auſtraliens unterſcheidet ſih durch ſeinen geſtre>ten, aber doch kräftigen Schnabel, langen, ſtark abgeſtuften Shwanz und die langen Federn am Hinterhalſe von ihm.

Der Keilſhwanzadler (Aquila andax, fucosa, albirostris und cuneicauda, Vultur und Uroaëtus audax, Falco fucosus) iſt 98—100 cm lang und etwa 2,3 m breit. Kopf, die Gurgelgegend, die ODber- und Unterſeite ſind \<wärzlihbraun, faſt alle Federn, namentlich die des Flügels und der Oberſhwanzde>e, an den Rändern und an der Spiße blaßbraun, Rütten und Halsſeiten roſtfarbig. Die Fris iſt nußbraun, die Wachshaut und ein na>ter Streifen um das Auge ſind gelblihweiß, der Schnabel an der Wurzel iſt gelblichhornfarben, an der Spibe gelb, der Fuß hellgelb. Sehr alte Stücke ſind gedrungener gebaut und dunkler gefärbt als junge, die ſih dur< Schlankheit und lichte Färbung auszeichnen.

Der Keilſhwanzadler bewohnt ganz Auſtralien und iſt nirgends ſelten. Man findet ihn im tiefen Walde wie in den Ebenen, paarweiſe und in Geſellſchaften. Am häufigſten iſt er in den Känguruhgründen: hier fonnte der „alte Buſhmann“ im Laufe eines Winters über ein Dußend Stück erlegen. „Alles, was die Schriftſteller von dem Mute, der Kraft und der Raubſucht des Steinadlers erzählen“, ſagt Gould, „paßt auh auf den Keilſhwanzadler. Er raubt alle kleinen Arten von Känguruhs, welche er auf den Ebenen und. offenen Hügeln vorfindet, bewältigt den edlen Trappen und iſt der größte Feind der Schafherden, die hart von ihm mitgenommen werden.“ Die großen Känguruhs vermag er niht zu bewältigen, wohl aber deren Junge; er weiß ſich ſogar ſolcher zu bemächtigen, welche ſi< no< im Beutel der Mutter befinden. „Einſt“, erzählt der „alte Buſchmann“, „beobachtete ih einen Keilſhwanzadler, wie er ein Mutterkänguruh mit dem Fungen im Beutel duï< den Wald jagte. Der ſchlaue Vogel verfolgte ſein Wild auf Schritt und Tritt. Er wagte es niht, das Muttertier anzugreifen, wußte aber ſehr wohl, daß, ſobald es ſi erſchöpft fühlen würde, es ſein Junges von ſih werfen und ihm zur Beute überliefern würde.“

Auf das Aas fällt der Keilſhwanzadler mit der Gier der in Auſtralien fehlenden Geier. Gould ſah ihrer 80—40 auf dem Leihname eines großen Ochſen verſammelt. Cinige bereits vollgefreſſene ſaßen auf den benahbarten Bäumen; die übrigen feierten noh ihr Mahl. Känguruhjägern folgt der Keilſhwanzadler meilenweit und tagelang nah, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß bei ihren Jagden für ihn immer etwas abfällt. Er i|t in den Augen der Viehzüchter eine reht ſ{<limme Landplage.

Der Horſt wird auf den unzugänglichſten Bäumen angelegt, niht immer hoch über dem Boden, aber regelmäßig ſo, daß er faſt unerſteiglih iſt. Seine Größe ſhwankt beträchtlich; denn ein Paar benugt den alten Horſt wiederholt und vergrößert ihn dur jährliche Ausbeſſerungen. Die Unterlage beſteht aus ſtarken Aſtſtücken, der Mittelbau aus ſ{<wächeren; die Neſtmulde iſt mit feinen Zweigen und Gras belegt. Nah Ramſay fällt die Brutzeit in unſere lezten Sommermonate; man findet gewöhnlih im Auguſt die 2 runden, rauhſcaligen Eier, die 80 mm lang ſind, an der di>ſten Stelle 60 mm meſſen und auf weißem Grunde mehr oder minder mit roſtrötlichen, hell gelblihbraunen und rötlihblauen Punkten und Fle>en bede>t ſind. Fn manchen Waldungen ſieht man viele unbewohnte Horſte als zurü>gebliebene Wahrzeichen aus jenen Tagen, in welchen dieſe Wälder der Fuß des weißen Mannes noch nicht betreten hatte.