Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

298 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

Die nördlichen Länder der Erde, insbeſondere aber die Tundra, bewohnt ein Buſſard,/ der ſih durch ſeine wie bei den Adlern befiederten Fußwurzeln beſonders auszeihnet und deshalb von meinem Vater zum Vertreter einer gleichnamigen Gattung (Archibuteo) erhoben worden iſt, der Nauhfußbuſſard oder Shneeaar, Moos-, Schhnee-, Nebelund Scherengeier, Graufalke 2c. (Archibuteo lagopus und pennatus, africanus. alticeps und planiceps, Falco lagopus, slayonicus, sublagopus und plumipes, Buteo lagopus, Butaëtus buteo und lagopus). Der Schnabel iſt flein und {mal ſtark gekrümmt und langhakig; die großen Flügel, in denen die dritte oder vierte Shwungfeder die übrigen überragt, erreichen, zuſammengelegt das Ende des langen, abgerundeten Schwanzes. Das Gefieder iſt lo>er, in der Gurgelgegend zu Borſten umgeſtaltet; die Federn ſind groß und lang, die, die den Kopf und Nacken bekleiden, mittellang und zugerundet. Die ungemein abändernde Färbung iſ ein Gemiſh von Weiß, Gelblichweiß, Rotgrau, Braunſhwarz und Braun. Die Länge beträgt 65, die Breite etwa 150, die Fittichlänge 45, die Schwanzlänge 24 cm.

Obwohl der Nauhfußbuſſard in verſchiedenen Teilen Deutſchlands, insbeſondere aber auf Rügen, in Weſtpreußen, der Lauſiß, Thüringen und am Taunus, gehorſtet haben ſoll, liegt unſer Vaterland doch jenſeits der Grenze ſeines eigentlichen Brutgebietes. Als dieſes hat man die Tundra anzuſehen. Erwieſenermaßen horſtet unſer Vogel im Norden Großbritanniens, namentlih in Schottland, wahrſcheinlih auh nur auf Stellen, die der Tundra ähneln. Daß er von dieſer ſeiner beliebteſten Wohnſtätte in ſüdlicher gelegene Waldungen ſtreift und in ihnen ſeinen Horſt errichtet, iſt erklärlih. Jn Europa ſind es vor allem Skandinavien und Nordrußland, wo man ihm während des Sommers begegnet; in Sibirien haben wir ihn erſt am nördlichen Rande des Waldgürtels, weit häufiger aber in der eigentlichen Tundra beobachtet, und in Nordamerifa, wo er ebenfalls vorkommt, werden zweifellos dieſelben Verhältniſſe maßgebend ſein. Selbſt da, wo er weiter im Süden horſtet/ wie in anders gearteten Teilen von Skandinavien, pflegt er ſih zu ſeinem Wohnſize ſolche Stellen auszuſuchen, welche der Tundra gleichen oder, ſtreng genommen, Tundra ſind, ob ſie au< rings von Waldungen umgeben ſein ſollten, wie beiſpiel8weiſe die na>ten, fahlen Fjelds der Gebirge.

Bei uns zu Lande trifft der Nauhfußbuſſard, von Norden kommend, um Mitte Oktober, ſelten früher, meiſt etwas ſpäter, ein, um hier, in ſeiner Winterherberge, bis in den März, ſelbſt bis zum April zu verweilen. Jn einzelnen Wintern dehnt er ſeine Wanderungen weiter aus, zählt aber ſhon in Südfrankreih und Norditalien zu den ſehr ſeltenen Erſcheinungen und wird wohl no< auf der Balkan-, nicht aber auf der Pyrenäiſchen Halbinſel beobahtet. Von Nordrußland aus beſucht er die ſüdlichen Teile des Landes oder bezieht die an das Schwarze Meer grenzenden Landſtriche; von Sibirien aus wandert er bis in die Steppen Turkiſtans. Fn Turkmenien beobachtete ihn Alfred Walter während des Monates März mehrmals in bedeutender Anzahl in der Schlucht von Geoë-tepe.

Ein geübter Beobachter iſt im ſtande, den Rauhfußbuſſard in jeder Stellung, namentlih aber im Fliegen, von ſeinen einheimiſchen Verwandten zu unterſcheiden. Die längeren Flügel mit den {warzen Fle>en am Handgelenke und die auffallende Shwanzzeichnung laſſen das Flugbild von dem des Buſſards hinlänglih abweichend erſcheinen. Auch ſind die Bewegungen beider Vögel verſchieden, indem der Rauhfußbuſſard die Shwingen beim Schlagen tiefer nah unten bewegt und nach je 2 oder 3 S<hlägen eine Stre>e geradeaus zu ſ{<hweben pflegt. Abgeſehen hiervon, unterſcheiden ſi beide Arten in ihrem Winterleben ſo wenig, daß man das von dem einen Beobachtete unbedenklih au< auf den anderen beziehen kann. Viel eher und beſtimmter laſſen ſih hinſihtli< des Sommerlebens der beiden ſo nahe verwandten Vögel Unterſchiede nahweiſen.