Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

308 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

Jn Europa lebt eine Art der Gattung, der Schlangen- oder Natternbuſſard, Schlangen- oder Natternadler (Circaëtus gallicus, brachydactylus, leucopsis, anguium, meridionalis, orientalis, hypoleucus und paradoxus, Falco gallicus, leucopsis und brachydactylus, Buteo gallicus, Aquila brachydactyla, lencamphomma und gallica, Accipiter hypoleucus). Seine Länge beträgt 70, die Breite 180, die Fittichlänge 56, die Shwanzlänge 30 em. Die ſpißigen Federn des Kopfes und Hinterhalſes ſind mattbraun, heller geſäumt, die Rücken-, Schulter- und kleinen Flügelde>federn tiefbraun, heller gekantet, die Shwingen ſ{<hwarzbraun, fein hellbraun geſäumt, weiß gekantet und mit ſchwarzen Querbinden gezeichnet, die Schwanzfedern dunkelbraun, breit weiß zugeſpißt und dreimal breit ſ{hwarz gebändert, Stirn, Kehle und Wangen weißlich, ſhmal braun geſtrichelt, Kropf und Oberbruſt lebhaft hellbraun, die übrigen Unterteile weiß, ſpärli hellbraun in die Quere gefle>t. Ein Kreis von wolligem Flaum umgibt das große Auge; nah vorn gerichtete Borſten bede>en den Zügel. Das Auge iſt gelb, der Schnabel bläulihſhwarz, die Wachshaut und die Füße ſind lichtblau. Junge Vögel unterſcheiden ſich wenig von den Alten.

Noch zu Anfang dieſes Jahrhunderts wurde der Schlangenadler als ein ſehr unbekannter Vogel angeſehen, und ſeine Naturgeſchichte iſt auh wirkli erſt viel ſpäter feſtgeſtellt worden. Der auffallende und leicht kenntliche Raubvogel mag früher mit lihten Buſſarden verwechſelt worden ſein, bis man anfing, auf ihn zu achten. Seit dieſer Zeit hat man ihn überall in Deutſchland, namentlich in Preußen, Pommern, Schleſien, der Mark Brandenburg, Me>lenburg, auf dem Weſterwalde und in der Pfalz als Brutvogel, außerdem aber in allen Teilen unſeres Vaterlandes als Zugvogel beobachtet. Regelmäßiger tritt er im Süden des öſterreichiſhen Kaiſerſtaates, in Südrußland, auf der Balkanhalbinſel und ebenſo in Ftalien, Frankreih und Spanien auf; in Großbritannien und Skandinavien dagegen hat man ihn, ſoviel mir bekannt, noh nicht erlegt; au<h für Holland kenne ih keinen Fall ſeines Vorkommens. Bei uns zu Lande iſt er ein Sommervogel, der Anfang Mai anfommt und uns im September wieder verläßt, um den Winter in Mittelafrika und Südaſien mit dort Angeſiedelten ſeiner Art zu verbringen. Seinen Stand wählt er ſi< in großen, einſamen Waldungen, und hier führt er, ſoweit bis jeßt bekannt, ein wahres Still: leben oder maht ſi< do< wenig bemerkli<h. Jn Fndien, wo er ebenfalls brütet, hauſt er weniger in Waldungen und Dſchangeln als auf offenen Ebenen und im bebauten Lande, gleichviel, ob es tro>en oder feucht iſt. Jn Nordafrika ſieht man ihn hauptſächlich im Winter, oft in Geſellſchaſten von 6—12 Stü, gern auf Felſen nahe am Waſſer, noch lieber aber in der Steppe und hier zuweilen viele Kilometer weit von Gewäſſern entfernt. Fn Nordweſtafrika hat man ihn horſtend gefunden.

Lebensweiſe und Betragen, Sitten und Gewohnheiten des Schlangenbuſſards erinnern ungleih mehr an unſeren Mäuſebuſſard als an irgend welchen Adler. Er iſt nah meinen Beobachtungen ein ruhiger, fauler, grilliger und zänkiſcher Vogel, der ſi<h um nichts anderes zu bekümmern ſcheint als um das Wild, das er jagt, und um andere ſeiner Art, die im Fange glü>liher waren. Am Horſte iſt er nah allen Angaben ſcheu und vorſichtig, auh ſcreiluſtig; in Afrika vernimmt man kaum einen Laut von ihm und lernt ihn als einen der unvorſichtigſten aller dortigen Raubvögel kennen. Wenn er aufgebäumt hat, glost er den ſi nähernden Jäger mit ſeinen großen Augen an und denkt an alles andere, nur niht an das Fortfliegen. Doch ſieht man ihn nur gegen Abend und in den früheſten Morgenſtunden aufgebäumt; während des ganzen übrigen Tages betreibt er langſam und gemächlih ſeine Jagd. Kreiſend {webt er über Nahrung verſprechenden Gefilden, oder bvewegungslos ſißt er am Rande der Gewäſſer, um auf Beute zu lauern. Fm Fluge rüttelt er oſt wie ſein Vetter, der Buſſard; beim Angriffe ſenkt er ſich langſam in die Tiefe hinab