Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

318 Zehnte Ordnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

Wild, das in Todesſchre>en und Verzweiflung durch die verſchiedenſten Künſte des Fluges dem Tod drohenden Angriffe ſeines grauſamen Gegners zu entrinnen ſucht. Es ſteigt, wendet ſich und würde ſi< in den Strom ſtürzen, wäre der Adler nicht bekannt mit allen Liſten des Shwanes, und zwänge er ihn nicht, in der Luft zu verweilen. Der Schwan gibt die Hoffnung auf Entkommen auf, die Furcht übermannt ihn, und ſeine Kraft verläßt ihn angeſichts der Kühnheit und Schnelligkeit ſeines Gegners. Noch einen verzweifelten Verſuch

zum Entrinnen, und der Adler ſchlägt ihm ſeinen Fang unter den Flügeln ein und zwingt

ihn mit unwiderſtehlicher Kraft, ſih mit ihm gegen das nächſte Ufer hin niederzuſenken.

„Zebt könnt ihr alle Grauſamkeiten des fürchterlihſten Feindes der Befiederten ſehen. Aufgerichtet über dem Opfer, das unter ihm verhaucht, preßt er die gewaltigen Fänge zuſammen und treibt die ſcharfen Klauen tief in das Herz des ſterbenden Vogels. Er jauchzt vor Vergnügen in dem Augenbli>e, während ſeine Beute unter ihm krampfhaft zuſammenzu>t. Das Weibchen hat bis dahin jede Bewegung des Gatten beobachtet, und wenn es ihm nicht zu Hilfe kam, ſo geſhah das nux, weil es fühlte, daß die Kraft und Kühnheit des Gemahles vollſtändig genügend waren. Fett aber {webt es zu dieſem herüber, und beide drehen nun die Bruſt des unglücklichen Schwanes nach oben und beginnen die Mahlzeit.“

Ein Dichter, wie Audubon es war, wird zur Schilderung des Angriffes eines Seeadlers auf wehrloſe Beute die angegebenen Worte verwenden dürfen. Er hat das wirklih Geſehene wiedergegeben: die lebendigen Farben ſeines Gemäldes ſind wahrheitsgetreu Leider kann ih, beengt dur< den mir zugemeſſenen Raum, Audubon nicht weiter folgen; ih muß verſuchen, was ih über unſeren Seeadler noch zu ſagen habe, in möglichſter Kürze zuſammenzufaſſen.

Alle Seeadler verdienen ihren Namen. Sie ſind vorzugsweiſe Küſtenvögel, verlaſſen wenigſtens bloß ausnahmsweiſe die Nähe des Waſſers. Fm Fnneren des Landes kommen alte Seeadler faſt nur an großen Strömen oder großen Seen vor; die jüngeren hingegen werden oft ſern vom Meere geſehen: ſie wandern in der Zeit, die zwiſchen ihrem Ausfliegen und der Paarung liegt, das heißt mehrere Fahre, ziel- und regellos durch die weite Welt, und gelegentlich ſolcher Reiſen erſcheinen ſie auch tief im Binnenlande, großen Strömen oder wenigſtens Flüſſen folgend. Solche Reiſen geſchehen größtenteils unbeachtet/ weil die wandernden Seeadler gewöhnli<h in ſehr hoher Luft dahinziehen und ſi< nur da, wo Waldungen ihre Heerſtraßen begrenzen, in die Tiefe hinabſenken mögen. Namentlih im Spätherbſte und Frühjahre müſſen viele dur<h Deutſchland wandern, weil ſi ſonſt ihr maſſenhaſtes Auftreten an Beute verſprehenden Pläßen nicht erklären ließe.

„Während der 16 Jahre von 1843—59, in welchen ih die Leitung der großen Hofjagden in der Letlinger Heide hatte“, ſ{hreibt mir von Meyerin>, „erſchienen jedes Fahr faſt 1 oder 2 Tage nah der Jagd 6, 8—12 Seeadler, die den vielen Aufbruch der 400—500 erlegten Stücke Rot- und Schwarzwildes oder au< krankes und Fallwild/ das bei der Jagd angeſchoſſen worden war, aufſuchten und dann längere Zeit im Reviere verweilten. Die Leblinger Heide liegt von der Oſtſee über 600 km weit entfernt und doh konnten die Adler nur von dorther gezogen kommen, um ſi< in der Heide ſatt zu kröpfen. Die Hofjagden fielen damals ſtets zwiſchen den 28. Oktober und 20. November; vorher aber habe ih niemals einen Adler in der Heide geſehen, troßdem ih täglih zu allen Tageszeiten im Reviere war. Jh wage natürlich niht auszuſprechen, was die Adler ſo ſhnell herbeiführte; bloßer Zufall aber konnte es niht ſein, da dieſe Erſcheinung ſi faſt alle Jahre wiederholte. Unter der Geſellſchaft, die ſh raſh zuſammenfand, ſah man ſtets auh mehrere alte mit faſt weißen Köpfen, ſehr hellem Halſe und weißen Shwanzfedern.“ Jh glaube niht, daß Meyerin>s Annahme, die Adler ſeien nur deswegen von