Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4, S. 284

246 Vierte Ordnung: Edelfiſche; dritte Familie: Karpfen.

Die Karpfen, von denen gegen 800 Arten unterſchieden werden können, lieben ſtehende Gewäſſer mit weichem, ſ{lammigem oder ſandigem Grunde, der ihnen ihre liebſte Nahrung, Würmer, Kerbtierlarven und verweſende Pflanzenſtoffe, bietet. Fn ruhig fließenden Strömen finden ſie ſih ebenfalls; Gebirgswäſſer dagegen werden von ihnen mehr oder weniger gemieden. Sie leben größtenteils geſellig und vereinigen ſi gern zu zahlreichen Scharen, die, wie es ſcheint, längere Zeit gemeinſchaftlih miteinander ſhwimmen und jagen, auh während der rauhen Fahreszeit ſih diht nebeneinander in den Shlamm betten und Hier gewiſſermaßen einen Winterſchlaf abhalten. Jhr Nahrungserwerb bedingt, daß ſie ſich oft und lange unmittelbar über dem Grunde aufhalten. Sie ziehen den größten Teil ihrer Beute aus dem Schlamme ſelbſt hervor, indem ſie dieſen förmlih dur{hſuchen, wenigſtens oft ihre Köpfe in ihn einbohren und längere Zeit in ſolher Stellung verweilen. Gegen die Laichzeit ‘hin trennen fih die Shwärme in kleinere Haufen; die Nogener ziehen Voran, und die Milhner folgen ihnen getreulih nach, gewöhnlich in größerer Anzahl, ſo ungefähr, daß 2 oder 3 Männthen ein Weibchen begleiten. Überwiegt das eine Geſchlecht bedeutend an Zahl, ſo kann es geſchehen, daß verwandte Arten der Familie ſi< einander zugeſellen und gemeinſchaftlich laichen; wenigſtens nimmt man jeßt, und wohl mit Recht, an, daß mehrere von den in den Büchern der Gelehrten aufgeführten Karpfenarten nichts anderes als Blendlinge ſind. Die Geneigtheit der verſchiedenen Karpfenarten, ſih miteinanderzu paaren, findet vielleicht in dem auh bei dieſen Fiſchen ſehr lebhaften Begattungstriebe ihre Erklärung. Schon ſeit alter Zeit gilt das Urbild der Familie, der Karpfen, mit Recht als ein Sinnbild der Fruchtbarkeit. Als ſolches war er der Venus geheiligt; auf dieſe Fruchtbarkeit bezieht ſich der in die lateiniſhe und von dieſer in unſere Sprache übergegangene Name. Schon in dem Rogen eines 1,5 kg ſ{hweren Weibchens hat man 337,000, in ausgewacſenen Nogenern bis 700,000 Eier gezählt. Ein ſo großer Reichtum will angebracht ſein, daher denn die lebhaſte Unruhe, das veränderte Weſen, die Rüfſichtsloſigkeit der Karpfen.

Sind nun dieſe Vermiſchungen verſchiedener Arten Urſache zu abweichenden Formen geworden, ſo ſind auh mehrere Arten der Familie ſeit vielen Jahrhunderten als Zuchtfiſche vom Menſchen beeinflußt worden, und ſo haben ſi infolge der Beſchaffenheit der Zuchtteiche und Seen, der verſchiedenen Behandlung 2c. Ausartungen gebildet, die mit der Zeit Ständigkeit exlangten. Dem entſprechend iſt die Anzahl der Ab- und Spielarten innerhalb der Familie der Karpfen größer als in jeder anderen.

Mit Ausnahme weniger, unſeren Fiſchern und Hausfrauen wohlbekannter Arten der Gruppe haben die Karpfen ein weiches, ſaftiges und höchſt wohlſ<hme>endes Fleiſch, laſſen ſi, dank ihrer Zählebigkeit, ohne beſondere Vorkehrungen weit verſenden, leichter als alle übrigen Fiſche in verſchiedenartigen Gewäſſern einbürgern, vermehren ſih, wie bemerkt, ſehr ſtark, zeigen ſi< anſpru<slos, wahſen raſh und werden leicht feiſt: vereinigen alſo alle Bedingungen, die man an einen Zuhtfiſh überhaupt ſtellen kann. Jn den vom Menſchen überwachten Gewäſſern haben ſie zwar viel von Krankheiten, aber doh wenig von Feinden zu leiden, obgleih ihnen, ſolange ſie jung ſind, faſt die geſamte übrige Bewohnerſchaſt der Gewäſſer nachſtellt. Deshalb ſ{<lägt ihre Zucht auch ſelten fehl, und ſie dürfen ſo ret eigentli<h als jedermanns Fiſch gelten. Wollte man die Zuhht etwas verſtändiger betreiben, als es gegenwärtig noh immer geſchieht, namentlih während der Laichzeit für geeignete, mit leichter Mühe herzuſtellende Pläße zum Abſeßen ihres Laiches ſorgen, die größeren und kleineren Stücke gebührend auseinander halten und es an entſprechendem Futter nicht fehlen laſſen: der Gewinn, den ein Teichbeſißer aus ihnen ziehen könnte, würde noh ungleich bedeutender ſein, als es bisher der Fall war.