Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4, S. 443

Aal: Wandernde Junge. Feinde. Zählebigkeit. Fang. 403

zu ſehen, was es gäbe, und nahmen entweder die ihnen gereihte Nahrung in Empfang, oder ſpielten mit dem ihnen vorgehaltenen Finger. Gegen Ende Juli wurden ſie unruhig und verſuchten zu entkommen; Ende Auguſt oder Anfang September zogen ſie ſih in ihre Winterherberge zurü.

Alle größeren Fiſ<hfreſſer ſtellen den Aalen eifrig nah, haben aber oft ihre liebe Not mit ihnen. Ungemein drollig ſieht es aus, wenn man einem gefangenen hungrigen Fiſchotter einige Dußzend kleiner lebender Aale in ſein Waſſerbe>en wirft. Wie wir früher (Bd. 1, S. 674) geſehen haben, kann dieſer Marder des Waſſers keine Ruhe finden, ſolange er no< etwas Lebendiges um ſi< weiß. Er ſtürzt ſh in ſein Be>en, holt einen Aal, beißt ihm den Kopf ein, legt ihn auf die Bank, fällt von neuem ins Waſſer, pat einen zweiten, erſheint an der alten Stelle und ſieht zu niht geringer Überraſhung, daß der vermeintliche Tote ſi< ſhon längſt wieder fortgeringelt hat und ſi< im Waſſer bewegt, als wäre ihm nichts geſchehen. Darüber ärgerlih, verſeßt das erboſte Raubtier dem zweiten gefangenen mehrere Biſſe und ſtürzte ſi< in die Fluten, um den erſten wiederzuholen; mittlerweile iſt der zweite ebenfalls wieder entſ<hlüpft, und ſo währt das Wechſelſpiel ſo lange, bis der Otter ſi entſchließt, ſ{hleunigſt ein Paar der niht umzubringenden Wurmfiſche zu verzehren. Bei ihm geht dies; bei Vögeln, die ihre Nahrung ganz verſhlingen, iſt damit der Widerſtreit noh nicht beendet. Hiervon weiß ſchon der alte Gesner zu erzählen. „Die Ael ſollen von etlichen Geſhlechten der Vögel gefreſſen werden, als von denen, fo bey den Lateinern Ardeæ stellares und Morsices (fo ein Art Reyer iſ) genennet werden. Auch der Phalacrocoral, wie die Engeländer ſagen, verſhlu>t ſolche fiſh gans lebendig, und weil ſolher wegen der glatten Haut alſo gant lebendig wieder dur den Vogel gehen ſoll, verſhlinget er ihn alſobald wieder, und ſolches biß auff neun mahlen, ſo lang biß er müd gemacht, und in dem Vogel ſterben muß.“

Die Zählebigkeit dieſer Fiſche macht übrigens nicht bloß den Tieren, ſondern auh den Menſchen zu ſchaffen. Jede Fiſ<hfrau, jede Köchin weiß, was es ſagen will einen Aal umzubringen. „Jh habe“, erzählt Lenz, „in einer Seeſtadt, ſo oft ih die Fiſchmärkte beſuchte, die großen Aale in Waſſerkübeln geſehen, während die etwa 60 cm langen maſſenweiſe auf großen Tiſchen lagen und daſelbſt in fortwährender Bewegung ſich zusſammendrängten. Waren die Fiſchweiber niht gerade mit dem Verkaufe beſchäftigt, ſo nahmen ſie einen der auf dem Tiſche aufgepflanzten Aale nah dem anderen beim Kopfe machten hinter dieſem mit dem Meſſer einen ringförmigen Schnitt und zogen dann die Haut vom Halſe bis zum Shwanze ab. Dabei und no< lange nachher krümmte ſih daë unglü>ſelige Tier ganz jämmerlich.“

Die Aalfiſcherei wird überall eifrig betrieben. Großartige Einrichtungen beſtehen ſhon ſeit Jahrhunderten in den erwähnten Lagunen von Comacchio, die aus einem wüſten Sumpfe in geordnete Teiche umgewandelt und mit Schleuſen, Waſſergräben und Zrrgängen eingerihtet worden ſind. Comacchio, ein armſeliges Städtchen, bildet den Mittel: punkt dieſer Fiſcherei und wird faſt ausſ<ließli< von Leuten bewohnt, die an dem Aalfange Anteil nehmen. Die Fiſcher ſelbſt leben in einer abſonderlihen Verbindung, unter Geſeßen, die im Mittelalter gegeben worden ſind, und in einer geiſtigen Verſunkenheit ohnegleichen. Troßdem kennen ſie die Lebensgeſchihte der Aale beſſer als andere ihrer Berufsgenoſſen. Jhr ganzes Leben und ſomit au< ihr Sinnen, Denken und Trachten dreht ſi< um dieſe Fiſche. Während des Aufſteigens der Fungaale belebt ſi<h das eigentümliche Reich. Alt und jung überwacht jezt die Züge der kleinen Fiſche, gefällt ſi< in Schäßungen ihrer Anzahl und verſucht, ſie nah beſtimmten Zuchtteichen hinzuleiten, wo man ſchon früher dur Einſeßen von kleinen Futterfiſchen für hinreihende Nahrung geſorgt hat. Ju Comaccio ſoll das Aufſteigen am 2. Februar beginnen und bis Ende April fortwähren oder

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