Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, S. 264

224 Muſchellinge. Erſte Klaſſe: Moostiervre.

entwi>eln werden, hängen und haſten bleiben. Die Entwi>elung wird dadurch eingeleitet, daß ſich die beiden Klappen zu einem Spalt auseinandergeben, aus welchem die Keimmaſſe austritt. Wir haben es hier mit einem Generationswechſel zu thun. Aus den auf ungeſchle<tlichem Wege hervorgebrahten Winterknoſpen und Statoblaſten erſcheinen Jndividuen, welche ſich geſhle<htli<h fortpflanzen, und deren Nachkommenſchaft ſ<hließlih wieder die Winterkeime liefert. Dabei iſt niht ausgeſchloſſen, daß die Stö>kchen, welche aus ſolchen ſih entwielt hatten, eine Zeitlang zwar geſchlehtli< ſih fortpflanzen im Herbſt aber ſelber auh Statoblaſten liefern. Das Wachstum der Bryozoenſtö>chen dur< Knoſpung, das Ablöſen der Winterknoſpen bei Paludicella, die Bildung der Statoblaſten und das Auftreten von Eiern zeigt uns ſo ret, wie Wachstum und Fortpflanzung miteinander zuſammenhängen.

Braem iſt der Meinung, daß die Statoblaſten wenigſtens von Cristatella einfrieren müſſen, um zur Entwi>kelung fähig zu bleiben. Ex bemerkt über den Einfluß des Froſtes auf die Statoblaſten: „Am deutlichſten zeigte er ſi< danu, wenn von den Statoblaſten der nämlichen Kolonie nur eine Hälfte dem Froſt ausgeſeßt wurde, die andere ihm dagegen entzogen blieb. Während in dieſem Falle die erſtere ſi< zur Erzeugung von Embryonen durhweg als tauglih erwies, konnte jene einſtweilen dur<h keine Bemühungen zur Entwi>elung gebraht werden, ſelbſt dann niht, wenn die Temperatur dem Nullpunkt ſehr nahe geſtanden hatte. Man ſieht alſo, daß bei der völligen Gleichartigkeit des Materials nur der Froſt das ausſchlaggebende Moment bilden konnte, und daß ferner gerade die Erſtarxung der Flüſſigkeit niht bloß eine verhältnismäßige Abkühlung von Bedeutung iſt. Immerhin ſcheint es, daß auch der Froſt niht allzu flüchtig fein darf, und daß er wenigſtens einige Tage anhalten muß, wenn ſein Einfluß deutlich hervortreten ſoll.“

Dieſe Beobachtung iſt merkwürdig, aber es iſt zu bezweifeln, ob eine Verallgemeinerung des Beobachteten gerechtfertigt iſt. Für die hyperboreiſchen Verhältniſſe Königsbergs mag die Sache gelten, aber für andere Gegenden niht. Fn Weſteuropa entlang der Küſte ſind Winter, in denen das Waſſer niht zu Eis gefriert, niht ausgeſchloſſen, und doh findet ſi< dort Cristatella. Ebenſo wiſſen wir, daß Friß Müllex in Braſilien und Carter in Britiſch-Indien Statoblaſten bei Bryozoen beobachtet haben.

Ungleich zahlreicher ſind ſolche Familien der Moostierchen, denen der Mundde>el, das Epiſtom, fehlt, deren Mund daher unbede>t iſt. Fhre Tentakeln ſind niht hufeiſenförmig angeordnet, ſondern ſtehen im Kreiſe auf einer Scheibe. Der ſyſtematiſche Name für dieſe Ordnung iſt Gymnolaemata, womit eben das Unbede>tſein des Mundes bezeichnet wird. ZU den wenigen Süßwaſſerbewohnern dieſer Gruppe gehört die oben näher beſchriebene Paludicella, an welher der Tentakelkranz unvollkommen ausſtülpbar iſt und daher auh im Zuſtande der größten Ausdehnung des Tieres von einem doppelten Kragen umgeben erſcheint.

Eine andere und zwar ſehr umfangreiche Gruppe der Gymnolämen ſind die ſogenannten Chiloſtomen, von deren Beſchaffenheit uns die in der Nordſee gemeine Flustra foliacea eine Vorſtellung geben kann. Die vergrößerten Zellen, welche wir auf der Abbildung (S. 225) ſehen, ſind jener erhärtete Teil des Tieres, in welchen fi der weih bleibende Vorderteil zurüdziehen kann. Dies geſchieht durch eine quere Öffnung, an welcher ſi ein lippenartiger elaſtiſher Deel befindet. Die Tierchen können alſo in dieſem Gehäuſe ſi<h abſchließen und ſichern, und diejenigen Sippen, die niht, wie Flustra und andere, mit einem beſonderen Deel ausgeſtattet ſind, können die Querſpalte dur<h Muskeln zuſammenziehen. Die Kolonien unſerer Flustra bilden blattartige, verzweigte Lappen, auf beiden Seiten aus éiner Lage eng aneinander liegenden Fndividuen zuſammengeſetzt. Die Zellen verkalten, jedo< nit ſtark, ſo daß ſie im friſchen Zuſtand elaſtiſ<h und mit dem ganzen Sto> ſehr biegſam bleiben.