Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, S. 568
518 Stachelhäuter. Zweite Klaſſe: Seeigel.
Erſt im Sommer 1875 hat Dohrn eine thatſählihe Erklärung jenes Eifers mancher Seeigel, ſi<h mit verſchiedenen Gegenſtänden zuzude>en, verſucht, indem er von ähnlihen Erſcheinungen bei den höheren Krebſen ausging (\. S. 35). Er beobachtete den im Mittelmeere ebenfalls ſehr häufig vorkommenden fkurzſtahligen Seeigel (Tox0pneustes brevispinosus). Er ſagt: „Man wird ſelten ein Exemplar dieſes Seeigels im Aquarium finden, das nicht auf der aboralen (Rücken-) Seite eine Anzahl von Muſchelſchalen mittels ſeiner Saugfüßchen feſthielte. Das geht ſogar ſo weit, daß ih mehrfach Toxopneustes mit ſo viel Muſchelſchalen beſet fand, daß von dem Tiere ſelbſt gar nihts mehr zu ſehen war. Jch zählte auf einem Exemplare von 2 Zoll Durhmeſſer 26 Muſchelſchalen, jede von etwa einem Zoll Länge und einem halben Zoll Breite. Bei der Fortbewegung des Tieres wird alſo der Eindruck hervorgerufen, als käme ein Haufen Muſcheln näher. Dieſe, an „mimicry“ erinnernde Thatſache, ſcheint mir au<h in der That die Explikation derſelben zu ſein. Jh habe mehrfa<h Beobachtungen und Experimente über die Ernährungsweiſe dieſer Seeigel gemacht und habe geſunden, daß ſie gefährliche Räuber ſind. Am auffallendſten war es mir, daß ſie beſonders gern Squilla mantis (Heuſchre>enkrebs) freſſen. Man ſollte meinen, dieſem großen Krebſe müßte es ein Leichtes ſein, dem kleinen und langſam ſi< bewegenden Echinoderm aus dem Wege zu gehen. Es iſt aber Thatſache, daß, wenn ih ein Dugend Squilla in dasſelbe Baſſin ſete, in welhem ebenſoviel Toxopneustes \fi<h befanden, in 8—10 Tagen ſämtliche Squilla von den Seeigeln aufgefreſſen waren. Jh habe oft geſehen, wie die Seeigel ihre Beute ergriffen. Indem ſie ſih fortbewegen, ſeßen ſie einige Saugfüßchen auf irgend einen Körperteil des Krebſes. Der Krebs fühlt es und will entrinnen, aber raſh entſendet der Seeigel weitere Hilfstruppen, und aus allen benahbarten Bezirken ſpannen ſi< die Ambulacralfüßchen in weiten Bögen, bis ſie die Squilla erreihen. Nun läßt der Echinus all die Füßchen los, die ihn zu weit vom Krebſe entfernt halten, und rü>t dem Opfer näher, das vergebliche Anſtrengungen macht, zu fliehen. Fndem der Echinus ſi<h mit dem einen Teile der Saugfüßchen an einem Felſen oder an der Glasſcheibe des Baſſins feſthält, ſchiebt er den Krebs mittels der übrigen Füßchen langſam um ſeinen Körper herum, bis er in den Bereich des Mundes kommt. Dann fängt er an, ihn aufzuſreſſen. Das dauert gewöhnli< mehrere Tage. Sehr häufig geſellen ſi< no< 1 oder 2 andere Toxopneustes hinzu, und die Mahlzeit wird gemeinſam gehalten. J<h habe öfters beobachtet, daß ein Toxopneustes im ſtande iſt, eine Squilla von 6 Boll Länge zu fangen, indem er mittels der Saugfüßchen die breite Platte der äußeren Antennen ergriff. Der Krebs machte große Anſtrengungen durch Körperbewegungen, beſonders dur<h Umbeugen des Hinterleibes ſich plöglih loszureißen, aber meiſt brachte er ſeinen Körper dur ſein Ungeſtüm in größere Nähe des Feindes, und die weit ausgeſpannten Saugfüßchen hefteten ſich ſofort auh auf andere Körperteile feſt.
„Es iſt begreiſlih, daß einem ſo ſurhtbaren Feinde, gegen den es faum eine andere Verteidigung als Flucht gibt, vor allen Dingen aus dem Wege gegangen werden muß. Ebenſo begreiflih ſcheint es dann auch, daß der Angreifer ſi zu verſte>en ſucht, — und auf dieſe Tendenz ſchiebe i die ſonderbare Neigung der Echinen, ſi< mit Muſchelſchalen zu bede>en, die ſehr viel harmloſer ausſehen als der Stachelpanzer des gefürchteten Ehinoderms.“
Wix müſſen zugeben, daß für die von Dohrn beobachtete Art die Erklärung des Muſcheltragens etwas Verlo>endes hat. Allein kein anderer Beobachter hat bisher von einem fleiſchfreſſenden Seeigel berichtet, während von Agaſſiz eine ganze Reihe von Arten namhaft gemaht worden ſind, welhe immer oder gelegentlih ſi< Löcher in Felſen aushöhlen und damit unbedingt, wie unſer Stein-Seeigel, auf größere Tiere als Nahrung verzihten müſſen. Au<h Simroth, der auf den Azoren oft genug Seeigel beobachtete,