Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, S. 632
574 Hohltiere. Zweiter Unterkreis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen.
„Die Konrallentiere, von denen die bekannte, als Shmu> dienende edle Koralle nur cine Form und der unbedeutendſte Teil iſt, ſind nicht bloß für Naturbeſchreibung und Naturgeſchichte im engeren Sinne merkwürdig, ſie gehören zu den zahlreihſten, auffallendſten, unbekannteſten und am einflußreichſten erſcheinenden Formen des organiſchen Lebens. Mit Schaltieren zuſammengeſchichtet bilden die dur ſie erzeugten Kalkmaſſen bald hohe Gebirge, bald den Boden weit ausgedehnter Landſtre>en, und ihre foſſilen Überreſte dienen dem aufmerkſamen Geognoſten als Anzeigen für Veränderungen und Bildungs-Epochen der verſchiedenen Teile der Erdrinde. Aber nur in ihrer Auflöſung, tot und fragmentiſch ſind dieſe Spuren der Korallentiere, deren Einfluß man in der Dryktognoſie (Geſteinsund Gebirgskunde) bewundert und zu wichtigen Reſultaten benußt. Weit angenehmer überraſchend iſ die Erſcheinung ihrer Formen dem Reiſenden, welcher die Küſten des Südmeeres berührt und dieſelben in ihren Wohnſißen lebendig und ebenfalls in einer über alles herrſchenden Verbreitung erbli>t. Dort wetteifern die blumenförmigen Tiere der pflanzenartigen Korallenſtöke mit den prächtigſten Farben unſerer ſchönſten Blumen, und hinderte niht der Lichtreflex des Waſſers die Überſicht einer größeren Fläche unterhalb des Meeresſpiegels, ſo würde die Maſſe des Schönfarbigen, Lebendigen, blumenartig Geformten, welches den flachen Meeresboden bekleidet, ganz das Bild geben, das uns an unſeren Wieſen und Fluren zu ihrer Blütezeit erfreut, ja, es würde den, welcher die aſiatiſchen Kirgiſenſteppen ſah, an die Tulpenflor erinnern, die, in unabſehbarer Weite ſich erſtre>end, unter den günſtigen Umſtänden ein zaubervolles und feenhaſtes Gegenſtü> unſerer lieblichen kleinen Gärten bilden.
„Ob nun aber gleich eine ſolhe Überſicht über die Wieſen der Tierpflanzen, welche man gewöhnli<h Korallenbänke nennt, niht in dem Grade zu erlangen iſt, wie wir ſie an den Gärten und Wieſen der Luftpflanzen bis in weite Ferne hin erreichen, ſo werden doh auch ſolche Reiſende, welche nicht gerade als Naturforſcher ſpeziell ſih an dem Baue und den Geſeßen der Formen ver organiſchen Weſen und deren belehrender Zuſammenſtellung und Vergleichung erfreuen dur<h den Reichtum des Formenwe<ſels und durch die bald metalliſh glänzenden, bald zarten und lieblichen Farben diefer lebendigen Blumen überraſt und begeiſtert. Wie die Bilder des Kaleidoſkopes gehen vor dem Auge des am ſeichten Meeresufer hingehenden oder auf ſeinem Schiſſe über das Korallenriff bei eintretender Windſtille langſam hingleitenden Bewohners des Feſtlandes dieſe Bevölkerungen ihm ganz neuer Fluren vorüber. Es ſieht Sträucher und Bäumchen auf und um ſcheinbar abgerundete Felsblö>e verſammelt, welche, ſelbſt in blendende metalliſche Farben gehüllt, einen anderen Charakter als den der Felsmaſſe verraten.
„Glülicher und genußreicher als der Wanderer an der Küſte, wo die ungleiche Meereshöhe nur krüppelhafte Produkte dieſer Art fümmerlich gedeihen läßt, erkennt der auf niht allzu großem Fahrzeug Schiffende während der Windſtille dieſe Bürger eines neuen, ihm unbekannten Reiches auf den üppigen Korallenbänken des tieferen Meeres. Tauſendfach angeregt und brennend vor Wißbegierde, ſteigt er endlih in die Schaluppe und bemüht ſich, an einer ſeichten Stelle ſi< einiger der ſchönſten dieſer Formen zu bemeiſtern, um ſie näher zu betraten. Das ihm behilfliche Schiffsvolk oder er ſelbſt ſteigt aus in das Waſſer, aber mit ihrem Auftreten auf den Korallenboden verſhwindet allmähli<h um ſie her die ſchöne Farbenpracht, welche dieſen Boden ſoeben ſ<müdte. Der ſtrauchartige, blendend roſenrote Gegenſtand, welcher die Aufmerkſamkeit und Phantaſie des Reiſenden ſoeben am lebhafteſten erregte, wird als ein brauner, unſcheinbarer Körper in die Höhe gebraht, und es findet ſi, daß das kurz vorher für das Auge ſo liébliche, weiche, bunte Gebilde ein harter, rauher, mit braunem, dünnem Schleime überzogener Kalftuff iſt. Man glaubt, ſi geirrt zu haben und wiederholt die Bemühungen und Verſuche mit gleichem Erfolge,