Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

In der Predigt Pf. 12 ist diese Stufe der Gegeneinzigkeit des Ich als Freund zu Gott noch nicht erreicht. Das Ich ist zwar wesenseins mit Gott, aber es steht in dieser seiner reinen Natur noch neben dem unigenitus Christus. Eckhart sagt lediglich: In derselben Geburt, in der Gott seinen eingeborenen Sohn erzeugt, spricht er uns seine Freunde (65, 25ff). Die Predigt Pf. 85 = I 151ff hat den Gedanken konsequent durchgedacht: „dieweil ich kneht bin. so bin ich dem ainbornen sun gar verr unt unglich“ (I 154,9). Daraus ergibt sich die Folgerung: Wenn ich Freund bin, dann bin ich der eingeborene Sohn, da Eckhart unmittelbar vorher sagt: „Nu sol der mensch also leben, daz er ain sey mit dem ainbornen sun und daz er der ainborne sun sey. Zwischent dem ainbornen sun und deiner sel ist enkein

underscheid“ (154, 6fJ’").

So bedeutsam und prägnant das Freundmotiv zur Darstellung der Korrelation Gott — Ich ist, so gibt Eckhart an einer Stelle doch zu verstehen, daß die Bindung aus Freundschaft zu sehr von psychologischen Zufälligkeiten abhängt, um unbedingt unter allen Umständen die Totalität und Notwendigkeit der Bindung Gott Ich zu garantieren. In feiner Ironie stellt er die Totalität der Offenbarung aus Freundschaft in Frage: Es könnte mein Freund wissen, was ich nicht wüßte, wenn er es mir etwa nicht offenbaren wollte“). Die psychologisch fundierte Bindung gewährt also nicht die unbedingte Sicherheit der totalen Offenbarung, sondern das leistet nur die logische, die repräsentiert wird durdı das Schema der Trinität, in der wir selbst der eingeborene Sohn sind”). Die psychologisch-ästhetische Bindung ist noch mit dem Moment der Zufälligkeit behaftet, trägt also noch Merkmale der Kreatürlichkeit. Die religiös arteigene Bindung Gott — Ich hat diese Schranke überwunden: sie ist notwendig und total, unbedingt gesetz-

nis von dem Herrn, der sich ein Auge aussticht, um seiner Geliebten gleich zu sein.

©) Pf. 66: 207,59: .. Daz ich er werde...

- Pf. 99: 520,8 ff.

0) Dasselbe ergibt sich auch aus der Predigt Pf. 65: 205, 55 ff.

351) Pf, 74:255,24: Nu sprach unser herre „ich han iuch niht knehte geheizen, ich han iuch friunde geheizen, wan der kneht enweiz niht waz sin herre wil. Ouch möhte min friund wizzen, daz ich niht weste, unt wölte ers mir niht offenbaren.“ Aber unser herre sprach „allez daz ih von minem vater gehört han, daz han ich iu geoffenbaret.“

2) Pf, 74:254,1ff.: ... Allez... Daz hoeret der sun von dem vater, daz hat er uns geoffenbaret, daz wir derselbe sun sin. Allez daz der sun hat, daz hat er von sinem vater: wesen unde nature, daz wir der selbe eingeborn sun sin.

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