Die Geſchichte des Weltkrieges 1914/17., S. 362
318 . Illuſtrierte Geſchichte des Weltkrieges 1914/17. =
fortgeſeßt große Maſſen von Rahmenhölzern zur Ber
zimmerung herbeigeſchafft werden, die zum großen Teil aus dem Nadelholzbeſtand der Heimat ſtammen, da Laub= hößer dafür niht brau<hbar ſind. /
So traurig und ſ<hmerzensrei<h man<hmal die Fraht iſt, die von den vorn liegenden Sanitätsunterſtänden und Hauptverbandpläßen nah den rü>wärtigen Lazaretten geſhaft wird, ſo ſind die Kleinbahnen do< in entgegen-
- geſeßter Richtung auh die Bringer großer Freude, denn ſie
führen in den Poſtſä>ken die Grüße aus der Heimat und manche Liebesgabenſendung den waeren Shüßengrabenfämpfern zu. Ja, zu Weihnahten haben ſie viele Wagen=-
ladungen von Chriſtbäum<hen mit ſih geführt, um in den
feuchten, dunflen, nur dur< Schüßengrabenöfhen motz
dürſtig erwärmten Untexrſtänden einen Schimmex von |
Weihnachtsfreude zu verbreiten.
Etwas über die Herſtellung von Hand-
granaten.
__ (Hierzu die Bilder Seite 319.) :
Wenn man heute dur< einen der zahlreihen Fabrikbetriebe wandert, die ausſ<ließli<h mit der Erzeugung von Kriegsbedarf beſchäftigt ſind, und aus dem Munde von Fathleuten über die einzelnen Abſ<hnitte der Herſtellung aufgetlärt wird, kann man der deutſhen Induſtrie, die in unglaublih kurzer Zeit ihre friedlihen Betriebe ſo völlig den Triegeriſhen Bedürfniſſen der Gegenwart anzupaſſen wußte, nur unbegrenzte Hochachtung zollen. Kaum der
Militär von Fah hatte beim Ausbruch des Krieges eine Ahnung von den gänzlih neuen Kampfmitteln, die heute
an den Fronten, auf und unter der See, in der Luft und in Minenſtollen tief unter der Erde angewendet werden, ge[<hweige denn der Gewerbetreibende, der ſih im Frieden mit der Herſtellung von Textilſtoffen oder Muſikautomaten beſchäftigte und heute in ſeinen Werken Granaten, Bomben oder Zünder anfertigt, als ſei es von jeher ſo geweſen. Unſere Abbildungen beiſpielsweiſe ſtammen aus einer großen deutſhen Maſchinenfabrik, die ſih im Frieden ausſ<ließlih mit dem Bau landwirtſhafſtliher Maſchinen befaßte. Heute wandern aus ihrem Jnnern Tauſende von Granaten aller Kaliber und unzählige Kiſten mit jenen leinen gefährlihen Handgranaten, die die Feldgrauen ſo meiſterlih zu verwenden wiſſen, an die Front.
Noch bewundernswerter abex ſind dieſe Leiſtungen, wenn
man bedenkt, mit welhem Mangel an geſchulten Arbeits= träften und geeigneten Rohſtoffen die deutſhen Betriebe
zu kämpfen haben. Zur Anfertigung der ungewohnten
Gegenſtände mußten neue Maſchinen aufgeſtellt, neue Arbeiter, oft gänzlih ungelernte Frauen, ausgebildet werden. Jeder falſche Handgriff kann unberehenbaren Schaden an Zeit und koſtbaren Rohſtoffen verurſahen, ganz abgeſehen von der ungeheuren Steigerung der Arbeitslöhne. Und wenn man heute einen derartigen Betrieb beſichtigt, gewinnt man den Eindru>, als ob dieſe Leute in ihrem ganzen Leben nichts anderes gemacht hätten, als jene mit aller Spißſindigkeit der heutigen Wiſſenſchaft und Technik ausgeflügelten Kampfmittel, die alle Augenbli>e vervolltommnet und verbeſſert werden. : | Wie eine deutſhe Handgranate entſteht? Scheinbar auf die einfa<hſte Art der Welt. Man ſieht einen rieſigen Schmelzofen, in dem eine glühende Metallmaſſe brodelt, die von oben mit immer neuen Rohſtoſfen geſpeiſt wird. Unten wird die feurige Flüſſigkeit in bereitgehaltenen Behältern aufgefangen. Ein Fingerdru> löſt eîne ſinnreih gebaute Shwebebahn aus, die das brodelnde Metall mit äußerſter Geſhwindigkeit und völliger Sicherheit bis unmittelbar über die wohlvorbereitete Form im. Kerbelraum führt. Sunderte von Formkaſten ſtehen dort bereit und werden der Reihe na<h mit dem flüſſigen Metall gefüllt. Nach deſſen Erkalten werden die fertigen Hülſen, die Zumeiſt die Form von Hühnereiern haben, den Formktaſten entnommen. Nun folgt von flinken Frauenhänden unter
Zuhilfenahme ſinnreiher Maſchinen das Ausbohren, das |
Reinigen, das Abwiegen, das Abſchleifen, das La>ieren und ſo weiter. Das alles geſchieht mit der Sicherheit und Ein-
fachheit, die die deutſhen Fabrikbetriebe von. jeher aus-
zeihneten. Jn einem anderen Raum entſtehen die hHößBernen Vexſandkaſten, in denen tägli<h Tauſende der gefährlichen leinen Dinger ins Laboratorium wandern, wo ſie mit
‘ebenſo großer Selbſtverſtändlihkeit, als wären es gefüllte Praliné , ihre todbringende Füllung, ihre Zünd- und Sicherungsvorrihtung und ſo fort erhalten. Dieſe Verfahren ſind natürli im Jntereſſe der Verteidigung geheim zu halten, dürften auh für den Laien kaum von Wert ſein, zumal ex die tröôſtlihe Gewißheit hat, daß die deutſchen Stoßtruppe draußen an der Front mit ihren „Eierhandgranaten“ ret ge|<hi>t umzugehen wiſſen, ſehr zum Schaden der Feinde, Die dieſe Hilſsmittel der neuzeitlihen Kriegführung erſt erfanden und ſ{<hwerli<h glaubten, daß die deutſche Jnduſtrie imſtande ſei, ihre Erfindung niht nur
_ na<zuahmen, ſondern ſo zu verbeſſern, daß die Deutſchen ihren Gegnern auch hierin wieder einmal den Rang abge=-
laufen habe Der Tag von Jakobſtadt. Von Dr. Friz Wertheimer, Kriegsberihterſtatter der „Frankfurter F Zeitung“, + (Hierzu die Karte Seite 306.)
Als die Ruſſen von unſeren Vorbereitungen gegen Rica Wind beïamen, räumten ſie freiwillig ihre kleine Brüentopfſtellung bei Dünhof (Üxfüll) und auch kleine Teile ihrer
‘vorge]<hobenen Brütentöpfe vor Riga und Jatobſtadt. Beide
Räumungen konnten ſür ſie von militäriſ<hem Nugßen ſcin, fonnten- ein Aufgeben |<wer zu verteidigender Vorſtelluncen zum Zwed>e der beſſeren Abwehr in den Hauplſtellungen bedeuten. Aber das alles nüßte dem Ruſſen nihts mehr. Bei Riga zwang ihn unſer Dur<hbru<h nac dem gelungenen
_Dünaübergang zum ſ<leunigen Verlaſſen dex ganzen Weſtz
dünaſtellungen. Kampſlos zog er aus den ſtarken Beſc ſtigungen ab, um niht größere Truppenkörper der Gefangaennahme auszuſeßen. Bei Jaktobſtadî wehrte ex ſih verzweiſelt, um das ſeit Tagen vorausgeſehene und im eicenen Heeresberi<ht immer wieder angedeutete Ereignis abzuwenden. Zwax hatte auh hiex ein vorſihtiger Führex [<hon den Räumungsbe fehl für den ganzen großen, 40 Kilometer breiten und 10 Kilometex tiefen Brüc>enktopf in der Taſche, aber die drei Diviſionen, die in ihm, ſtark aufgefüllt und rei<hli< mit Artillerie verſehen, zu halten hatten, bekamen doh den
Auftrag zum äußerſten Widerſtande. Das iſt vom Stand=-
punfte dex ruſſiſchen Führung aus niht nux aus allgemein ruſſiſh-innerpolitiſhen, ſondern vor allem aus militäriſhen Gründen verſtändlih. Hindenburg, der im Sommer 1915 „mit einem Schimmer von Heex, aber mit dem Rufe der Unbeſieglichkeit“ zur Düna gefommen war, hatté mit ſeinen \<wachen nux mit wenig Jnfanterie dur<ſeßten Kavallerie=truppen die beiden Dünabrü>enktöpfe niht mehr zu neh=men vermocht. Seit dieſer Zeit bildeten ſie eine dauernde Bedrohung unſerer Nordoſtſront, ebenſo, wie der brü@entopfartige Feſtungsring um Dünaburg herum.
Riga, Jakobſtadt und Dünaburg waren eben drei große Städte, geeignet zur Verſammlung von Truppen Und ZUL Aufnahme großer Vorratsniederlagen, mit unmittelbaren Bahnlinien în die rü>&wärtigen ruſſiſchen Verſorgungsgebiete. So ‘oft ein ruſſiſcher Generalſtabs<ef an Offenſive dachte, wählte er dieſe drei Ausfallstore, und ſo oft er eigene oder Verbandsoffenſiven an anderer Stelle dur< Ent=
laſtungſtöße zu begleiten hatte, hieß es immer: Riga, Jakob=
ſtadt, Dünaburg. Der Herbſt 1915, das Ewerthſche Frühjahr 1916, dex Bruſſilowſhe Sommer 1916 und das Radko Dimitriewſhe Frühjahr 1917 zeugen davon. Nachdem Riga, der ſtarke Stühßpunkt am Rigaiſchen Meerbuſen, gefallen und aus dem die deutſhe Front bedrohenden rUuſſiſchen Brückenkopf ein drohend gegen die ruſſiſche Front vorgetriebener deutſ<her Brückenkopf geworden war, hatte die ruſſiſhe Führung allen Grund, das Ausfallstor Jakobſtadt zu halten, gewiſſermaßen um ein „Gleichgewicht der Brü>enköpfe“ zu ſchaffen, um gegen deutſhe Abſichten
immer einen kräftigen Flankenſtoß bereit zu halten. Es iſt
wohl kennzeichnend für die heutige ruſſiſche Armee, daß ſie einen Stüßpunkt wie Riga în zweieinhalb Tagen, und einen Feſtungsvorſprung wie Jakobſtadt în einem Tage verliert, und daß ſie innerhalb eines Monats an 400 Ge-
\{<üße und an 14 000 Mann Gefangene einbüßt. Abex es
gibt wohl auc keinen beſſeren Beweis für die deu! ſhe Stärke, als dieſe Operationen, als den Mut, ſie vorzunehmen, während im Weſten die dritte Flandernſhla<t drohte und tobte, ſie artilleriſtiſ< und infanteriſtiſ<h ſo ſtart und Überlegen zu geſtalten. |