Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

B. Öſterreichs orientaliſche Politik. 105

ruſſiſche Geſandte in Konſtantinopel ein Schriftſtück, das der Pforte niht bloß, Vorwürfe machte, ſondern mit aller Entſchiedenheit drei Bedingungen ſtellte. Die türkiſche Regierung ſolle die <riſtliche Religion nicht mit Krieg und Beſchimpfung bedrohen laſſen und die zerſtörten Kirchen wieder herſtellen. Sie möge ihre Truppen aus den Donaufürſtentümern zurückziehen und für dieſe eigene Hoſpodare (Fürſten) ernennen. überhaupt müßten die Chriſten wieder den Schuß wie früher genießen. Jn Konſtantinopel ließ man ſich jedo< niht bange machen; man blieb verſto>t und rechnete mit der Uneinigkeit der Mächte. Das gab für Rußland den Anſtoß zur Abberufung ſeines diplomatiſchen Vertreters, und raſcher, als man gedacht hatte, waren die Beziehungen der beiden Staaten gelöſt.

Dieſe Geſchehniſſe berührten niemanden unangenehmer wie Metternich, der in den kritiſchen Tagen eine raſtloſe Tätigkeit entfaltete, um „ſeine moraliſchen Mittel“ überall zur Anwendung zu bringen. Zu ſeinem Troſte ſprang ihm ſogleich ſein engliſcher Kollege Caſte lereagh bei. Jm Oktober kam es in Hannover zu einer Zu=ſammenkunft, bei der der öſterreichiſche Staatskanzler ſeinen Einfluß auf den würdeloſen König Georg IV. und auf deſſen Miniſter wirken laſſen konnte. Der Verlauf der mehrtägigen Unterredungen befriedigte den öſterreichiſhen Diplomaten voll. Beide Mächte wollten ſich für die Erhaltung des Friedens mit ihrem ganzen Gewichte einſezen und in gleichem Maße in St. Petersburg und in Konſtantinopel zur Vernunſt mahnen.

Geringer al3 Metternich gehofft hatte, war indes der Eindru>, den die diplomatiſchen Schritte zur Hintanhaltung des drohenden Krieges hervorriefen. Doch was die lüberredungsfunſt niht vermochte, das bewirkte die Angſt. Alexander fürchtete ſich vor einem Aufſtande der Polen und. mäßigte deshalb ſeine kriegeriſche Begierde. Während des Winters von 1821 auf 1822 weilte einer ſeiner Vertrauensmänner in Wien. Man kann ſi denken, wie ſehr der öſterreichiſche Staatskanzler alle Hebel in Bewegung ſeßte, um den Zaren von ſeinem Lieblinge, dem Grafen Capodiſtria, abzuwenden, der konſequent und nachdrü>lich für die Befreiung Griechenlands eintrat. Diesmal hatte Metternich leichteres Spiel. Da die Pforte ſih zu einigem Entgegenkommen herbeiließ, — ſie räumte die Fürſtentümer an der unteren Donau und ſehßte die Bojaren Ghika und Stourdza zu Hoſpodaren ein — beruhigte ſih der Zar allmählich. Capodiſtria wurde nahezu kaltgeſtellt. Dieſer Umſhwung erfüllte die Wiener leitenden Kreiſe mit lebhafter Freude, und Kai=