Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

B. Öſterreichs orientaliſche Politik. 107

Vaſallenſtaaten niht zugeben könne; ehe er ſih dazu verſtünde, würde er lieber die volle Unabhängigkeit Griechenlands, alſo die Begründung eines ſelbſtändigen griechiſchen Staates befürworten. Kein Zweifel, die Verblüffung war groß, als Öſterreich mit cinem Male die extremſten Freiheitswünſche vertrat. Man durchſchaute jedoch bald die Abſichten des Staatskanzlers und ließ ſich weiter nicht beirren. . . Alexander fühlte ſih dur< den für ihn unerfreulichen Verlauf der Konferenzen in ſeinen Hoffnungen betrogen, und ſein Vertrauen zu Wien war erſchüttert. Abermals wandte ſi<h das Blatt: zwiſchen St. Petersburg und London wurden Fäden der Freundſchaft geſponnen.

Da trat im Dezember des Jahres 1825 der Tod des Zaren ein. Ein wechſelvolles Leben fand ſeinen Abſchluß, eine reiche, intereſſante Perſönlichkeit ſank ins Grab. Zar Nikolaus, der jezt das Erbe antrat, war ein ſ<höner, gefallſüchtiger Mann und ein dünkelhafter, in engen ruſſiſhen Auffaſſungen aufgewachſener Monarch, der den öſterreichiſchen Staatsfanzler zuerſt nicht leiden mochte. Dennoch bli>te Metternich vertrauensſelig in die Zukunft. „Nein, ih nenne ſie niht Griechen, ih nenne ſie Rebellen“‘, hatte ſich der neue Zar geäußert. Ließ das nicht auf Geſinnungsverwandtſchaft ſchließen? Für das Beſtreben der Völker, ſi<h der läſtigen Bevormun=dung zu entziehen, beſaß Nikolaus ſicherlich no< weniger Verſtündnis als Alexander in den legten Fahren. Das religiöſe Zuſammengehörigfeit8gefühl beeinflußte jedo<h au< ihn ſo ſtark, daß es für ſeine politiſche Haltung in der nächſten Zeit beſtimmend wurde. Da man das Rebellentum und das Chriſtentum bei den Griechen nicht trennen konnte, mußte der Kaiſer von Rußland ſih bequemen, die Abneigung zu überwinden. Cannings Geſchi>lichkeit trug den Sieg davon. Zur Beglückwünſchung des Zaren wurde kein geringerer als der ſtolze Herzog von Wellington, der Held von Spanien und Water=loo na< St. Petersburg geſandt, wie man denn überhaupt in London ſichtliche Anſtrengungen machte, um die engliſ<h=-ruſſi\<e Annäherung aufre<htzuerhalten. Am 4. April 1826 kam auch eine bindende Vereinbarung zuſtande, durch die ſi<h England und Rußland verpflichteten, die Ausſöhnung zwiſchen der Türkei und den Griechen zu vermitteln. Dies ſollte auf folgender Grundlage geſchehen : Oberherrſchaft der Pforte, Beſtimmung eines Tributs, Abſchäßung des türkiſchen Grundbeſitzes und Abtretung desſelben an die Griechen gegen Geldentſchädigung; Wahl der Verwaltungsbehörden, die nur aus Griechen zu beſtehen hätten; Freiheit der Reli-