Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

_1. Das Zeitalter der franzöſiſchen Revolution. 9

Ruhmesherold gefunden wie Thugut in dem Hiſtoriker Alfred Nitter von Vivenot 1). Die Wahrheit liegt wie oft in der Mitte zwiſchen Schmähung und Verherrlichung. Allenfalls war Freiherr von Thugut ein nicht gewöhnlicher Menſch. Sein Urgroßvater hieß no< Thunichtgut; der Vater — ein k.k. Krieg8zahlmeiſter — ſtarb früh und hinterließ eine Witwe mit fünf Kindern. Maria Thereſia nahm ſich der Hinterbliebenen an; ſie ließ den jüngſten Sohn ausbilden und die orientaliſche Akademie beſuchen. Thugut kam zuerſt als Dolmetſch nah Konſtantinopel und brachte es durch ſeine Tüchtigkeit in nicht allzulanger Zeit zum Hofdolmetſh und Hofſekretär in der Wiener Staätskanzlei. Später kehrte er nah Konſtantinopel zurü>, um dort als diplomatiſcher Vertreter Öſterreichs verdienſtvoll zu wirken. Jm Januar 1793 wurde Thugut „Armeediplomat“/, im März traf ihn der Ruf des Kaiſers, der ihn zum „Generaldirektor der auswärtigen Angelegenheiten“ erhob. Nach dem Tode des Fürſten Kauni erhielt Freiherr von Thugut in aller Form den Titel eines „Miniſters der auswärtigen Geſchäfte“. Das Unglück dieſes Staatsmannes war die Käuflichkeit, die einen breiten Schatten auf ſeinen Charakter wirft. Thugut empfing als öſterreichiſcher Staatsbeamter von Ludwig XV. und Ludwig XVT. im geheimen große Jahresgelder und lieferte dafür fortlaufend Berichte. Unſer Gewiſſen läßt für dieſes Beginnen ſo leicht keinen Milderungsgrund zu; allein man darf nicht ver=geſſen, daß Thugut in einer Zeit anderer moraliſcher Auffaſſungen handelte. Geheime Korreſpondenzen, die nicht frei von Jndiskre= tionen ſein konnten, bildeten auch für Perſönlichkeiten, die nah Thuguts Amtstätigkeit Anſehen genoſſen, ergiebige Einnahmequellen. Und ein anderer Umſtand ſoll nicht außer acht bleiben. Thugut ſchwankte lange zwiſchen der Wirkſamkeit in ſeinem Vaterlande und in Frankreich; er ſtand innerlich dieſem Staate oft näher als dem! Lande, in dem er geboren wurde. Als leitender Miniſter hat er ih jedoch vollkommen forreft verhalten und eine ſ{<öne Liebe für Öſterreich an den Tag gelegt. Freiherr von Thugut entfaltete eine ſtarke Arbeitſamkeit. Dieſer Mann von mittlerer Größe, der nach einer zeitgenöſſiſchen Schilderung die Geſichtszüge „eines fauniſchen Mephiſtopheles“’ gehabt haben ſoll, führte ein anſpru<sloſes Daſein; ein Glas Waſſer und einige Pflaumen, das war oft ſein Abendbrot. Der ledige Miniſter wohnte nicht in der prunkvollen Staatskanszlei, ſondern in einem einfachen Miethauſe in der Vorſtadt. Thugut ver-

1) Siehe das Vorwort zu den „Vertraulichen Briefen von Freiherrn von Thugut“, Wien 1872. Band I,