Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

10 I. Das Zeitalter der franzöſiſchen Revolution.

ſtand es ſehr gut, im Verkehre mit Kaiſer Franz den geeigneten Ton anzuſchlagen und ſich die Gunſt des Monarchen zu erwerben. Auch traf er die richtige Behandlung des unbedeutenden aber einflußreichen Grafen Franz Colloredo, der einſt Franzens Erzieher und nun ſein bevorzugter Kabinettsminiſter war. Freiherr von Thugut zeigte ſich in einer Hinſicht als Schüler des Fürſten Kaunitz: ihn erfüllte lodernder Haß gegen Preußen. Nicht minder grollte er freilich den Umſturzmännern in Frankreich. Auch er war von der Jdee der geographiſchen Abrundung Öſterreichs durchdrungen und die Be=ſiznahme von Bayern lo>te ihn unausgeſezt. Die Betrauung des Freiherrn von Thugut mit der Leitung der äußeren Politik bildete ein Ereignis; nicht nur, weil man ſich von ſeinem kraftvollen We=ſen viel verſprach, ſondern weil die hohe Auszeichnung des bürgerlichen Emporkömmlings ihresgleichen ſuchte.1)

Unterdeſſen nahm der Krieg mit Frankreich ſeinen weſelvollen Fortgang. Belgien wurde zurückerobert und die Öſterreicher konnten wieder in Brüſſel einziehen, allerdings bloß für eine kurze Friſt, denn ſie mußten das Land im Juli 1794 abermals räumen. Jn die Kampfesweiſe der Franzoſen kam in der zweiten Hälfte des Jah= res 1793 ein neuer Geiſt. Carnots imponierende Schöpferkraft ſtampſte Heere aus dem Boden und Hoche und Pichegru übernahmen die Führung der Moſel- und Rheinarmeen. Wir wollen hier nicht die einzelnen tragiſchen Szenen auf dem Kriegstheater und auh nicht die häßlichen Eiferſüchteleien eingehender betrachten, die zwi=ſchen Öſterreichern und Preußen eine immer weitere Kluft ſhufen. Während die Franzoſen ſich an ihren Erfolgen berauſchten, fehlte bei ihren Gegnern jeder höhere Shwung. Man kämpfte n o<, aber man {lug ſich eigentlich, ohne ſich des Zwe>es bewußt zu ſein. Die urſprünglichen Geſichtspunkte waren längſt verloren. Als es für Thugut hieß, die gefangene Tochter Maria Antoinettes und Ludwigs XVI. zu befreien — die Revolutionsmänner hatten einen Austauſh von Gefangenen vorgeſchlagen —, da fühlte ſih der öſterreichiſche Staatsmann gar nicht zur Eile bewogen. Für ihn war das Kind nur ein Gegenſtand der Verlegenheit: „Was ſoll man mit ihm anfangen?“ meinte der Miniſter ?).

Jhn beſchäftigten ganz andere Ziele. Die Schlappe, die Öſterreich

12 1) Die beſte Charakteriſtik des Leben3ganges und der Wirkſamkeit Thuguts ¿l¡h@Seißberg in der „Allgemeinen Deutſchen Biographie“, Band 38, gegeben. Ps zh. Ritter von Zeißberg. Erzherzog Carl von Öſterreich. Wien 1895, . Baûb, 2. Teil,

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