Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

I. Das Zeitalter der franzöſiſchen Revolution.

Jn den harten Kämpfen, die Maria Thereſia zu beſtehen hatte, um ihr großes Erbe gegen eine Welt von Feinden zu ſchützen, fand die tapfere Herrſcherin hingebungsvolle Berater, die ſich um die Monarchin und um das Reich unvergängliche Verdienſte erwarben. Unter ihnen ragte Wenzel Anton Graf — ſpäter Fürſt — Kaunitz hervor. Dieſer bedeutende Staatsmann, den man ehrenòd den „Kutſcher Europas“ nannte, wies in ſeinem Lebensgange und in ſeinem Weſen vielerlei Gegenſäße auf. Urſprünglich für den Dienſt der Kirche beſtimmt, wurde er ein hervorragender Diener der weltlichen Macht. An drei Univerſitäten hatte er Rechtsſtudien betrieben, um dann in einer philoſophierenden Zeit im philoſophiſchen Denken innere Befriedigung zu finden. Seiner Stellung nach war Kaunitz Diplomat, aber ſeine Stimme gewann auch auf die Kriegführung gewichtigen Einfluß und gab oft die Entſcheidung, wenn es ſich um Fragen der inneren Verwaltung Öſterreichs handelte. Regſam und weitausgreifend in ſeinen Plänen, blieb der Staatsmann ſaumſelig in der Erledigung dex Akten; ernſt und groß in der Erfaſſung ſeiner Pflichten gegenüber der Allgemeinheit, war er in ſeinem privaten Leben ein ſ[hwächlicher Verehrer des ſhönen Geſchlechtes. Der ſ{hlanke, kräftig gebaute Mann mit den blauen, klugbli>enden Augen und den feinen Zügen, der gerne ge>enhaft auftrat, litt ſchwer unter einer nicht zu bannenden Angſt vor Erkrankungen; er, der dem Volke mit ſeinem Verſtande ſo nahe war, beendete darum ſeine Tage in der Vereinſamung hinter ſorgſam verſchloſſenen Türen und Fenſtecn.

Dieſe ſtarke Perſönlichkeit huf für die äußere Politik Öſterreichs ein neues Organ und eine neue Richtung. Als Kaunitz im Frühjahre 1753 das Amt eines Staatskanzlers übernahm, wurden die diplomatiſchen Geſchäfte no< in einer Konferenz der führenden Staatsmänner ſchleppend erledigt und die Akten vom Kaiſer unterfertigt. Kaunig gab ſeiner Stellung erſt Perſönlichkeitswert ; er behielt ſich ſelbſt die Entſcheidungen vor und erließ die Weiſungen an die diplomatiſchen Vertreter in ſeinem eigenen Namen. So wurde /

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