Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

175 Neueſte Geſchichte, 1. Zeitraum.

[eidigung ward Genugthunng verlangt. Eines Tages hatten franzöſi= {e Officiere einen Maskenzug angeordnet, in welchem der turiner Hof und die kirhlichen Gebräuche des Landes verſpottet wurden. Der Zug trat aus der Citadelle heraus, und ſette ſein Spiel in den Hauptſtraßen der Stadt fort. Es kam zu Thätlichkeiten mit der Bevölkerung, welche dieſen Hohn nicht dulden wollte. Schon waren von beiden Seiten einige Flintenſchüſſe gefallen, und es konnte zum Blutvergießen kommen, als der franzöſiſhe General Menard die Maskerade zur Rückkehr in die Ci= tadelle veranlaßte.

Bei der Nachricht von den kriegeriſchen Bewegungen der Neapoli= taner und den Rüſtungen Oeſterreichs, beſchloß das Direktorium der Herrſchaft Karl Emanuel's ein Ende zu machen. Dieſer König war von den Franzoſen zu tief gekränkt worden, als daß ſie niht, wenn ihre Waſſen von einem Unfall getroffen würden, ſeine Rache zu fürchten ge= habt hätten, Der General Joubert wurde nah Turin geſchi>t, um die Stellung von 10,000 Mann piemonteſiſcher Hülfstruppen, und die Uebergabe des Arſenals zu verlangen. Erſteres wurde, als den beſte= henden Verträgen gemäß, ſogleich bewilligt, leßteres als unbegründete Zumuthung abgelehnt. Der König rief einige treue Regimenter zu ſeinem Schut herbei, aber die höheren Klaſſen, die Geiſtlichkeit, der Adel, die Be= amten waren entmuthigt. Am 5. December erließ Joubert eine drohende Proklamation , in welcher er den turiner Hof feindlicher Abſichten gegen Frankreich anklagte, und ihm das in den Gefechten gegen die piemonteſiz ſchen, cisalpiniſhen und liguriſhen Demokraten vergoſſene Blut zum Verbrechen anrehnete. Karl Emanuel ſuchte, in gemäßigtem, faſt demü= thigem Tone, die von Joubert aufgeſtellten Anſchuldigungen zu wider= legen. Der König war dabei vollkommen in ſeinem Recht und hatte ſeit dem mit Bonaparte geſchloſſenen Frieden alle gegen Frankreich ein= gegangenen Verbindlichkeiten gehalten. Aber das Mißtrauen zwiſchen einer Republik, wie die franzöſiſche, und zwiſchen einem abſolutiſtiſchen Hofe, wie der ſardiniſhe, mußte unverſöhnlih ſein. Die Königin von Sardinien war eine Muhme Ludwig XVI. Die Ausgewanderten, namentlich die erklärteſten Gegner der Revolution unter ihnen, wie der Graf von Artois, der Prinz von Condé u. \. w. hatten zuerſt in Piez mont eine Zuflucht gefunden. Alle Veranſtaltungen zu einer Contrez revolution in Südfrankreich waren, während der erſten Jahre der Revo=z lution, von Turin ausgegangen. Auf der andern Seite konnte es dex König von Sardinien nicht vergeſſen, daß er durch die Revolution um das Herzogthum Savoyen, den Stammſiß ſeines Hauſes, und um die