Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871
2 Neueſte Geſchicqte. 1. Zeitraum.
Morgen des 9. Thermidor, als er die Gensd'armerie im Garten Luxem= burg muſterte, die Aeußerung hingeworfen: „Man muß die Geſänguiſſc leeren !‘“’ — Da die öffentlihen Hinrichtungen bei dem Volke Widerwillen: und Murren zu erregen anfingen, ſo würden die Schre>ensmänner, wenn: ihnen hierzu Zeit gelaſſen worden wäre, wahrſcheinli< Ermordungen: im Innern der Gefängniſſe, wie im September 1792, angeordnet haben. Als die Nachricht von den Ereigniſſen im Konvent und im Hotel de Ville unter die Verhafteten kam, beglü>wünſchte ſich Alles bunt dur einander. __ Die beſtürzten Schließer öffneten die Thüren, und Bekannte und Unbefannte flogen einander in die Arme. Die Unterſchiede der Partei, des Standes, des Alters und Geſchlechts wurden hintenangeſebßt, und ein. einziges Gefühl, von dem gemeinſamen Feinde und einem gewiſſen Untergange befreit zu ſein, machte ſih geltend. Von dieſer Bewegung wurden bald au die Departements ergriffen. Ehe die Vorgänge von! 9. und 10. Thermidor noch allgemein bekannt geworden, gab es Leute, welche, um die frohe Botſchaft raſ) zu verbreiten, Paris mit Poſtpferden: verließen, und unterwegs, in Städten und Dörfern anhaltend, den Vor-= übergehenden zuriefen : „Freut euch, meine Freunde, Nobespierre iſt nicht mehr!“
Als endlich der blutige Zauber, mit welhem das Schre>ensfyſten Frankreich ſo lange gefeſſelt hatte, gelöſt war, trat in der inneren Stimmung wie in den äußeren Sitten, und überhaupt im ganzen Leben, eine außerordentliche Veränderung ein. Es wurden nicht nur überall viele Gefangene auf freien Fuß geſeut, ſondern eine ne< größere Menge von Verdächtigen und Verfolgten trat aus ihren Schlupfwinkeln hervor. Zu Paris geſchah dies ſhon am erſten Abend, nachdem Robespierre's und ſeines Anhanges Verhaftung bekannt geworden war. Es tauchten dort plöblich Perſonen auf, die man längſt für todt gehalten hatte. Bald nach= her kamen in anderen Städten Leute zum Vorſchein, welche bisher in. Wäldern oder Gebirgen verborgen geweſen waren. Manche, die, um. ſich zu retten, in entlegenen Gegenden, mit Verſchweigung ihres Namen und ihrer Stellung, in den Dienſt von Landbeſigern getreten waren, als Zäger, Hirten, Köhler gelebt hatten, gaben ſich wieder für das, was ſie waren, zu erfennen. Ein lange unbekannt geweſenes Gefühl der Sicher= heit bemächtigte ſih Aller , die in ihren Verſte>en jeden Augenbli> den Tod erwartet hatten, jet aber ohne Gefahr an ven leer ſtehenden Gez fänzniſſen, auf welche ſie vorher wie auf das Blutgerüſt ſelbſt geblidt hatten, vorübergehen fonnten.
Die Ha.tung des Konvents entſpra<h dieſem Wiederaufleben des