Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Murat?’s Sturz, 239

Neapel, fand aber kein Gehör. Durch die Kälte und Entfremdung , auf die er überall ſtieß, verletzt, und für ſeinen Thron fürchtend , beſchloß er endlich, ſich lieber den Folgen eines offenbaren Bruches auszuſeßen , als länger eine ſo geſpannte und zweideutige Lage zu ertragen. Sein zugleich hochfahrender und ungewiſſer Sinn ward, von Napoleon's Rü>kehr nah Frankreich und der ſchwierigen Stimmung der Italiener gegen ihre wieder= eingeſetzten Regierungen, zu übertriebenen Hoffnungen und einer Verkennung ſeiner wahren Stellung fortgeriſſen. Er ließ ſein Heer an den Po vorrü>en und forderte die Völker Italiens zur Unabhängigkeit auf. Oeſterreich antwortete mit einer Kriegserklärung, und Murat, vom Feinde geſhlagen und von ſeinen eigenen Unterthanen verlaſſen, ward zur Flucht nah Frankreich gezwungen. Ferdinand TV, der unterdeſſen Palermo ver= laſſen, hielt am 7, Juni 1815 ſeinen Einzug in Neapel, und vereinigte demnach wieder die Krone beider Sicilien auf ſeinem Haupt. Murat's weiteren Schi>ſals wird ſpäter gedacht werden. Auf dieſe Weiſe waren no< vor Abſchluß des Wiener Kongreſſes die vor der Revolution beſtan= denen monarchiſchen Regierungen Italiens wiederhergeſtellt worden, während, als ein Zeichen der Zeit, die drei ariſtofkratiſ<hen Republiken, Venedig, Genua und Lukfa, von denen die beiden erſten weltberühmt ge= weſen, niht wieder erneuert wurden.

Die Schweiz, durch ihre Lage zwiſchen den beiden Großmächten Frankreich und Oeſterreich, ihre geſchichtlichen Erinnerungen , die Eigen= thümlichkeit ihrer inneren Zuſtände und den Durchgang mehrer Handel8= ſtraßen wihtig, nimmt dadurch in dem europäiſchen Staatenſyſtem eine höhere Stellung ein, als ihre Ausdehnung , Bevölkerungszahl und ſonſtige materielle Kraft bedingen würde. Sie hatte, nah den Kämpſen und Verheerungen des Jahres 1798, hei denen namentlich die alten Kantone einen zuleit vergeblichen, aber rühmlichen Muth und eine ſeltene Auf= opferungsfähigkeit bewieſen, ſih dem Willen des Direktoriums und ſpäter Napoleon's unterwerfen müſſen. Die Schweizer waren den Fahnen des Eroberers von Spanien bis Rußland gefolgt, und faſt ihr ganzes Konz tingent im Feldzuge von 1812 geblieben. Alles innere Parteileben ſchien unter dem Schirme und Zwange der Mediationsakte und der Unmöglichkeit eines Widerſtandes gegen den gewaltigen Willen des Mannes, dem Frankcei<h, Deutſchland und Italien gehorhten und deſſen Macht die Schweiz auf allen Seiten umgab, erſti>t zu ſein. Indeſſen waren in der Schweiz, wie in anderen unter franzöſiſchen Einfluß gekommenen Ländern, die neuen Verhältniſſe zu plöblich eingetreten, hatten zu wenig Zeit ge= habt, um im Volksleben Wurzeln zu ſchlagen, als daß ſi< niht, bei dem