Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Murat’'s Hiurichtung- 383

worden. Die empfundene Furht macht gewöhnlich die Machthaber gegen Den, der ſie verurſacht hat, unverſöhnli<h. Der König Ferdinand be= \{loß, ſeinen unterlegenen Nebenbuhler nach der ganzen Strenge der be= ſtehenden Geſeßze zu behandeln. Es wurde dem General Nunziante befohlen, ein Krieg8geriht über Murat niederzuſeßen, und da die Verurtheilung vorauszuſehen war, demſelben nur eine halbe Stunde Zeit zur Vorbereitung auf den Tod zu laſſen.

Murat hatte ſi< während ſeiner fünftägigen Gefangenſchaft den

unglaublichſten Hoffnungen, niht nur, daß der König Ferdinand ſein Leben ſchonen, ſondern daß er ihm Neapel abtreten und ſi nah Sicilien zurü>ziehen würde, hingegeben. Die höchſte Gewalt muß für manche Naturen von einem berauſchenden Zauber begleitet ſein, da ſie Den, der ſie einmal ausgeübt hat, ſogar na< deren Verluſt, noh verblenden fann. Munat, ohne Unterthanen, Diener, entwaffnet, im Gefängniß, glaubte no< immer, ein König zu ſein. i Murat erkannte das Krieg8geriht niht an, das über ihn eingeſeßt war, richtete ein rúhrendes Schreiben an ſeine Gemahlin , empfing den Beſuch eines Geiſtlichen , erklärte, im Bekenntniß der katholiſchen Kirche zu ſterben, und wurde in dem engen Hofe des Forts Pizzo erſchoſſen (13. Oktober). Er bewies in ſeinen leßten Augenbli>en niht blos die ihm natürlihe Unerſchro>&enheit, ſondern au< eine Faſſung und Würde, welche die \{<merzlihe Bewunderung der Augenzeugen erregte. Er war, aus Mangel an Raum, der zu ſeiner Hinrichtung beſtimm= ten Abtheilung Soldaten ungewöhnli<h nahe geſtellt worden. Murat weigerte ſi<h, wie Labedoyère und Ney, \i<h die Augen verbinden zu laſſen, und ermahnte die Soldaten, nicht zu zittern, ſondern fkaltblütig zu zielen. Er zog ein kleines Medaillon aus ſeinem Buſen, auf welchem ſi<h das Bild ſeiner Gemahlin befand, richtete die Augen unverwandt darauf, und empfing in dieſer Stellung den Tod. Seine Leiche wurde in der Kirche von Pizzo beigeſeßt. Er war das einzige Mitglied der Familie Napoleon's, das in dieſem großen Schiffbruche ein gewaltſames Ende fand.

Die franzöſiſche Revolution und die aus ihr hervorgegangene Na= poleon'ſche Herrſchaft hatten die bisherigen Verhältniſſe der Dynaſtien und Nationen im Innerſten erſchüttert, die früheren rechtlichen und ſtaatlichen Anſchauungen theils verwirrt, theils aufgehoben, und unauflösbare Widerſprüche zwiſchen den überlieferten Meinungen und den neu entſtandenen Thatſachen hervorgerufen. Dies läßt ſi< au< in Murat's Schicſal erkennen. Mit Ausnahme der Bourbonen , die aber damals