Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Methoden anwenden. Wir müssen uns jedoch hier mit dieser bloßen Erwähnung begnügen und wiederholen nur, daß die Methode der Typenlehren eine wesentlich andere ist als die der Ausdrucksphysiognomik. Hier Anschauung einer lebendigen Außenseite, Beobachtung des Verhaltens, Einfühlung in die Seele einer einzelnen Person mit allen ihren Eigenarten, dort Untersuchung und Beobachtung eines riesigen Materials zur statistischen Bewältigung und zur Herausarbeitung des dem Individuellen gerade entgegengesetzten Durchschnittlichen, des Typischen. Nicht in lebendiger Oberfläche ergeben sich dort die Aufschlüsse, sondern in zergliederten Tiefen. Und von so vielen Seiten wird den Typenlehren ihre Mitgift, daß der ganze Apparat der hochspezialisierten Fachwissenschaften mit ihren Kliniken und Laboratorien, mit ihrem Stab an Lehrkanzeln, an Assistenten und Dissertanten daran arbeitet, in langsamer Arbeit Stück für Stück aufzubauen. Demgegenüber ist unsere Aufgabe und Methode von solcher Art, daß sie zwar nie die Fühlung mit den Methoden der Anatomie, der Physiologie, der Psychiatrie, der experimentellen Psychologie verlieren darf, daß aber in ihr der lebendige Blick des Einzelnen, der Sinn für die Ordnung von Erscheinungen, der künstlerischen Fähigkeit verwandt, dahingebracht wird, sehr vieles zu erreichen. Er leistet oft das Entscheidende: das Verstehen der Zeichensprache des Gesichtes, das Erfassen von Erscheinung und Bedeutung, eines Zusammenhanges, der nur für den Verstehenden besteht, den wir selbst im Augenblick des Erfassens erst erzeugen und der außerhalb unseres Verständnisses gar nicht aufzufinden ist, und dies, obwohl er aus tausend Wurzeln gespeist wird, die ihrerseits anatomisch, physiologisch, physikalisch verfolgbar sind. Die Physiognomie ist Gestalt, sie lebt in ihren Bestandteilen, ihren Elementen, die doch

45