Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

während der Arbeit nicht entbehren. Sie muß uns vielmehr auf Schritt und Tritt begleiten, uns recht geben bei unserer Deutung und in uns ein Gefühl der Bestätigung und Zustimmung erzeugen. Sie ist also eine wichtige Kontrolle. Nicht selten können wir etwas durch Indizien nur erhärten, wenn wir es vorher rein gefühlsmäfig erkannt haben. So ist das Erraten oft auch ein Bahnbrecher der wissenschaftlichen Erkenntnis, hier nicht anders als etwa in der Astronomie, der Biologie oder anderen Wissenschaften; es schärft uns das Auge und lenkt unseren Blick auf das Wesentliche.

4. Betrachten wir das Bild der kleinen Raucherin (T, 1). Ihre offenen Augen drücken sicherlich Empfänglichkeit aus. Aber wir können es noch bestimmter sagen: es ist Empfänglichkeit für uns, die Betrachter selbst, es ist sympathische Zuwendung. Hier unterstreichen wir noch das Moment des Sympathischen, wir meinen also, daß nicht eine bloße Erwartung vorliegt wie bei dem Mädchen Lina (IV, 7), auch nicht nur Aufmerksamkeit wie bei dem Baby (/, 2), sondern ein Einverständnis mit dem tatsächlichen Kontakt. Das Kind begnügt sich nicht damit, uns anzuschauen, das könnte es durch abgedeckten Blick besser; es schaut uns eigentlich auch nicht aufmerksam an, aber es fat uns sozusagen mit dem Blick ein, der Augenbogen wird zu einem Rahmen um uns ausgeweitet. Wenn wir jemand liebevoll anschauen, so öffnen wir das Auge weit, so als wollten wir von dem geliebten Gegenstand Besitz ergreifen, gleichsam als Andeutung einer Umarmung, bei der wir die Arme weit auftun, aber nur, um sie wieder zu schließen. Diese Tendenz ist noch ausgesprochener beim Pastillenmann (Fig. 12), der uns förmlich mit den Blicken verschlingt. Hier mischt sich schon eine gewisse Angriffstendenz in die sympathische Zuneigung; man kann ja jemanden vor Liebe auffressen

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