Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

wollen. In unserem Falle liegt das Angriffsmoment darin, daß er uns auslacht, weil wir uns so haben anführen lassen: wir alle glaubten, einen Menschen mit Magenverstimmung zu sehen, und nun verbirgt sich hinter der gequälten Maske dieses schadenfrohe Lachen. Dieses Verschlingen mit dem Blick ist eine Schließtendenz, aber ihr ist ein Auftakt des halb willkürlichen, halb triebhaften Augenaufreißens vorausgegangen, gleichsam als Anlauf, als Erweiterung der Zange, damit ihre Kraft beim Schließen um so stärker sei.

5. Vergleichen wir die letzten Bilder mit der Darstellung des aufgerissenen Auges nach Piderit (Fig. 15), so erkennt jeder, daß dieses Aufreißen unwillkürlich ist. Irgendwelche schreckhafte Reize haben das Auge aufgerissen, so daß es sich sowohl von der normalen Öffnung durch den Reiz (Baby I, 2) als auch vom willkürlichen Aufreifen durch die Angriffszange unterscheidet. Woran erkennen wir dies? Normalerweise müßte eine solche Übertreibung des Aufreißens eine Gegenspannung im Augenlid selbst hervorrufen, wie die Tendenz zur SchlieRung in der Blickzange des Pastillenmannes. Von einer solchen ist aber hier nichts zu merken. Der Augenbogen beim Pastillenmann ist ringsum gleichmäßig ausgespannt bis in die Umgebung hinein. In der Piderit-Figur jedoch ist die Erweiterung ganz ungleichmäßig und betrifft hauptsächlich den mittleren Teil, also die Oberlidgegend: daraus entnehmen wir, daß das Oberlid momentan gelähmt ist gegenüber der unwillkürlichen Gewalt des Augendeckelhebers. Der bewußte Wille ist gewohnt, mehrere Bewegungen koordiniert durchzuführen, so daß stets gewisse Muskelgruppen zusammenwirken. Die unwillkürliche Steuerung dagegen setzt unter gewissen Bedingungen Teilmuskeln, isolierte Muskelfaserbündel in Bewegung, die unter der bewußten Kontrolle des Willens

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