Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, S. 299

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Todtſchlägers iſt die Zeugenſhaft eines Muſelmannes unerläßlih. Dhne dieſe giebt es keine Verurtheilung. Ganz dasſelbe iſt auch in der CivilProcedur der Fall. Fn Conſtantinopel auf dem Plate Bajazid giebt es mehrere Kaffeehäuſer, deren Beſucher kein anderes Geſchäft betreiben als das der bezahlten Zeugenausſa ge. Allemal, wenn ein Chriſt einen Proceß vor dem Mehkemé (Gericht) hat, begiebt er ſi< in eines dieſer Kaffeehäuſer und erwirbt ſich mittelſt einer Vergütung von zehn, zwanzig oder dreißig Piaſter, je nah der Bedeutung der Angelegenheit, ſeinen muſelmänniſhen Zeugen. Dieſe Thatſache klingt in Europa unwahrſcheinli<h und iſ doh allein das Wahre. Dies iſ aber das heilige Grundgeſeß und darauf ſollte und mußte das neue Negierungs\yſtem gegründet werden, wenn ſi<h Sultan Murad und ſeine Miniſter das wirkliche türkiſche Element nicht entfremden wollten.

Man wird nun die Verzögerung verſtehen, welche die Verkündigung der neuen türkiſchen Verfaſſung anhaltend erfuhr.

Um dieſelbe Zeit machte in Conſtantinopel ein Project Aufſehen, welches aus: der Feder des Generals Jgnatieff ſtammte und als geänderte Wiederholung der weiland Koſſuth'ſhen „DonauConföderation" (Verbindung) gelten konnte. Ueber die Glaubwürdigkeit dieſex Arbeit wird man wohl lange niht in's Reine kommen können, indeſſen kennzeichnet ſie die Wünſche ſo vieler Länder und Ländchen, und deren Schußherrn — den ruſſiſchen Czaren. Ueber die Ausführbarkeit dieſer Wünſche mußte man jedo< {hon im vorhinein den Stab brechen, denn Oeſterrei<h konnte nie, wenn es nicht ſelbſt ſi<h einen Stoß in's Herz geben wollte, hierzu die Hand bieten.

Der Entwurf wax folgendermaßen fkizzirt und wurde no< vor der Abreiſe des ruſſiſchen Kaiſers von Petersburg demſelben unterbreitet.

Es ſollte die Balkan-Fun ſel in Zukunft folgende Geſtalt haben:

„Auf den Trümmern der türkiſchen Herrſchaft in Europa werden ſi< alsdann die folgenden Königreiche erheben:

1. Das Königreich Bulgarien, welches die eigentlihe Bulgarei und das gegenwärtige DonauVilajet, Thracien — mit Aus\{<luß des Littorales (Küſtenlandes) vom Bosporus bis einſchließli<h der Dardanellen — Macedonien und einen Theil von Theſſalien umfaßt;

2. das Königreih Albanien, welches Albanien und den Epirus, mit Ausſ<hluß des Paſchaliks von Prisrend, umſaßt;

3. das Königreih Serbien, welches aus dem eigentlihen Serbien, Bosnien, dem Paſcalik

von Prisrend, der Herzegowina und Montenegro mit den Bocche di Cattaro beſteht ;

4. das Königreih Rumänien, welches das heutige Rumänien umfaßt, und

5. das Königreih Griechenland, beſtehend aus dem gegenwärtigen Griechenland, dem ſüdlihen Theile von Theſſalien und den Fnſeln des türkiſhen Archipels (Fnſelmeeres) in Europa ſowohl als in Aſien, Candia mitinbegriffen.

Das NKönigrei<h Bulgarien hat einen Prinzen aus der kaiſerli<h ruſſiſhen Familie zum Souverain zu erhalten und bildet einen Staat von mehr als ſe<seinhalb Millionen Einwohnern. Das Königreich Albanien wird einem öſterreihiſ<hen Erzherzoge übergeben und hat beiläufig einundeinhalb Millionen Einwohner. Das Königreih Serbien gebührt von re<t8wegen dem Fürſten Nikolaus von Montenegro, welcher ſolchergeſtalt über mehr als drei Millionen Unterthanen verfügt. Fn den Königreichen Rumänien und Griechenland werden die gegenwärtigen Souveraine auf dem Throne belaſſen. Der Theil von Thracien, welher von dem Königreihe Bulgarien ausgeſhloſſen iſt, nämli<h Conſtantinopel mit dem Bosporus und den Dardanellen, die aſiati{hen Ufer mitinbegriffen, treten in ruſſiſchen Beſiß. Conſtantinopel wird das Centrum und der Vorort der neuen ſüdſlaviſhen Föderation (Verbündung), an wel<her au<h die Königreiche Rumänien und Griechenland unter der ganz beſonderen Bedingung theilnehmen können, daß ſie ſih der einheitlihen diplomatiſchen und militäriſhen Führung unterwerfen.“

Der ruſſiſhe Kronprinz Alexander Alexandrowitſ< ſoll ſi<h über das Project folz gendermaßen geäußert haben:

„Jh billige dieſes Project, inſofern dasſelbe die türkiſche Herrſchaft dur<h die chriſtlichen Souveraine erſeßt; aber eine Föderation von Völkern, welche verſchiedenartigen und einander oft feindlihen Racen angehören, ſcheint mir nicht lebensfähig zu ſein.“

Und Czar Alexander II. erklärte:

„Die Zeit, um derlei zur Ausführung zu bringen, iſt no< ni<t gekommen.“

Kaiſer Alexander erkundigte ſi< ſodann na< dem Namen des Verfaſſers dieſes Projectes und als man ihm den General Fgnatieff als Urheber bezeichnete, ließ er ihm ſagen:

„Jh kann Fgnatieff zu ſeiner Arbeit nur mein Compliment machen, und hoffe, daß dieſes Project eines Tages zur Ausführung gelangen werde.“ '

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