Marxismus und Darwinismus
R
Der Marxismus hat uns gelehrt, daß es ſo etwas wie eine naturgemäße Geſellſhaftsordnung gar niht gibt oder geben fann: Oder anders geſagt: daß jede Geſellſchaftsordnung naturgemäß iſ. Denn jede Geſellſ<haft8ordnung iſt notwendig und natürli< unter den vorhandenen Bedingungen, die ihr zugrunde liegen. Nicht eine einzige beſtimmte Geſell= ſchaftsordnung gibt es, die als die natürliche zu gelten hat, ſondern die verſchiedenſten Geſellſchaftsordnungen löſen einander infolge der Entwilung der Produktivkräfte ab, und jede iſt zu ihrer Zeit genau ſo naturgemäß wie die folgende zu einer ſpäteren Zeit. Der Kapitalismus iſ nicht die einzig natürli<he Ordnung, wie die Bourgeoiſie glaubt, ſo wenig wie irgendeine ſozialiſtiſche Weltordnung die einzig naturgemäße iſ, wie einige Sozialiſten uns beweiſen wollen. Der Kapitalismus war unter den Be-= dingungen des 19. Jahrhunderts naturgemäß, wie es der Feudalismus unter denen des Mittelalters war und der Sozialismus unter der fünftigen Entwilungshöhe der Produktivkräfte ſein wird. Der Verſuch, eine einzige Geſellſchaftsordnung als die einzig naturgemäße hinzuſtellen, iſt genau fo ausfihtslos, als wenn man irgend ein Tier als das vollfommenſte Tier hinſtellen will. Der Darwinismus lehrt uns ja, daß jedes Tier in ſeiner Art, für ſeine beſonderen Lebens8verhältniſſe gleih vollkommen gebaut, d. h. gleih angepaßt iſt; und ähnlich lehrt der Marxismus, daß jede Geſellſchaftsordnung ihren Bedingungen angepaßt und in dieſem Sinne gut und vortrefflich iſt.
Darin liegt die Grundurſache, weshalb der Verſu<h der BourgeoisDarwiniſten, den untergehenden Kapitalismus mittels des Darwinismus u verteidigen, notwendig ſcheitern mußte. Naturwiſſenſchaftlihe Argumente müſſen in geſellſchaftlihen Fragen faſt immer zu verkehrten Schlüſſen führen, denn die Natur bleibt im großen und ganzen während der Zeit der Menſchengeſchichte immer dieſelbe, während die Formen der Geſellſchaft in dieſer Zeit raſ< und ſtetig we<hſeln. Was die Geſellſchaft bewegt und in der geſellſchaftlihen Entwi>klung eine Nolle ſpielt, kann ſi< nur dur< das Studium dieſer Geſellſchaft ſelb ergeben. Marxismus und Darwinismus follen alſo jeder auf ſeinem eigenen Gebiet bleiben; ſie ſtehen unabhängig nebeneinander und haben unmittelbar nichts miteinander zu tun.
Nun erhebt ſi< aber eine wichtige Frage. Können wir bei dieſem Reſultat ſtehen bleiben, daß für die Geſellſchaft nur der Marxismus, für die organiſche Welt nur der Darwinismus gilt, ohne daß ſie auf das andere Gebiet übergreifen dürfen? Für die Praxis iſt es ſehr bequem, ein Prinzip für die Menſchenwelt und ein anderes Prinzip für die Tierwelt zu haben. Aber dabei wird überſehen, daß der Menſch au ein Tier iſt. Der Menſch hat ſi<h aus dem Tiere entwi>elt, und die Geſegze, die für die Tierwelt gelten, können doh niht auf einmal für ihn ihre Gültigkeit verlieren. Allerdings iſt der Menſch ein ſehr beſonderes Tier. Aber dann iſt es auh nötig, aus dem Beſonderen, das den Menſchen vom Tier unterſcheidet, abzuleiten, weshalb das für die Tiere gültige Prinzip für die Menſchen niht mehr gilt oder eine andere Geſtalt annimmt.