Marxismus und Darwinismus

Das geſellſchaftliche Zuſammenleben.

Die erſte Beſonderheit, die wir bei den Menſchen bemerken, beſteht darin, daß er ein geſellſ<haſtlihes Weſen iſt. Dadurch unterſcheidet er ji< nun allerdings nicht von allen Tieren, denn auh unter den Tieren gibt es viele Arten, die geſellſhaftlih zuſammenleben. Aber er unterſcheidet ſich darin von den Tieren, wie wir ſie bisher in der Auseinanderſezung der Darwinſchen Lehre betrachteten, von den Tieren, die einzeln, jedes für ſi, gegen alle anderen um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Nicht dieſe Tiere, die wie die meiſten Raubtiere vereinzelt leben und die Muſtertiere der Bourgeois-Darwiniſten bilden, ſondern die in Geſellſchaften zuſammenlebenden Tiere ſind es, mit denen man die Menſchen vergleichen muß. Das geſell= ſchaftliche Zuſammenleben iſ eine neue, von uns bisher niht berü>ſihtigte Kraft, die neue Verhältniſſe und neue Eigenſchaften bei den Tieren hervorruft.

'Es iſt auh völlig verkehrt, in dem Kampf ums Daſein die einzige, alles beherrſchende Kraft zu ſehen, die die organiſche Welt geſtaltet. Der Kampf ums Daſein iſ die Hauptkraft, die das Entſtehen neuer Arten erklärt. Aber Darwin ſelbſt wußte ganz gut, daß noh andere Kräfte mitwirkten die Formen, Gewohnheiten und Eigenſchaften der Lebeweſen zu geſtalten. Namentlich in ſeinem ſpäteren Werke „Die Abſtammung des Menſchen“ hat er aus= führlih die ſexuelle Zuchtwahl behandelt und dargelegt, wie der Wettkampf der Männchen um die Weibchen die bunten Farben der Vögel und - dex Schmetterlinge und die Singſtimmen der Vögel hervorrief. Dort hat er auh dem geſellſchaftlihen Zuſammenleben ein Kapitel gewidmet. Viele Bei= ſpiele gibt darüber au< das Werk des bekannten Anarchiſten . Kropotkin „Gegenſeitige Hilſe als Faktor der Evolution“. * Die beſte Darſtellung der Wirkung des geſellſhaftlihen Lebens findet ſi< in Kautskys Schrift „Ethik und materialiſtiſche Geſchicht8auffaſſung “.

i * Kropotkin weiſt darauf hin, daß zuerſt die ruſſiſchen Schüler Darwins dieſen Faktor der gegenſeitigen Hilfe hervorhoben, und er führt dies darauf zurü>, daß ſie die beſte Gelegenheit hatten, das Tierleben auf den weiten Steppen zu beobachten. Die Haupturſache wird jedo<h darin zu ſuchen ſein, daß in Rußland die kapitaliſtiſhe Konkurrenz, die in Weſteuropa den Kampf von allen gegen alle zu einer jedem geläufigen Jdee machte, noh niht das Leben beherrſhte und der Geiſt des Dorfkommunismus, der auf der gegenſeitigen Hilfe beruht, die Vorſtellungen der ruſſiſhen Geſellſchaftskreiſe no< ſtark beeinflußte. Der Menſch ſieht immer die Natur durch die Brille ſeiner eigenen geſellſhaftlihen Verhältniſſe: