Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

C. Einwirkung der Ssabier. D. Judentum. 181

füsse konstatiert findet oder beobachtet, wie stark der Neuplatonismus die gesamte Entwieklung beeinflussen soll, wird es bedauern, daß De Boer auf den unter dem Islam weiterlebenden Hermetismus nähere Rücksicht nicht genommen hat. Die Einwirkungen scheinen z. B. bei der Sekte der treuen Brüder von Basra nicht gering, und der Eindruck, daß es sich hier mehr um die Ausgestaltung einer vorhandenen Religion als eines philosophischen Systemes handelt, ist fast zwingend. Doch das zu entscheiden ist Sache des Fachgelehrten. Ihm muß ich natürlich auch eine weitere Frage zur Beurteilung übertragen, die ich nicht ganz mit Stillschweigen zu übergehen vermag.

Tiedemann, dessen Verdienste um den Text des uns erhaltenen Hermetischen Corpus später zu würdigen sind, scheint zu seiner Beschäftigung mit ihm dadurch gekommen, daß er sich mühte, die Stellung der Kabbala in der Geschichte der Philosophie zu ermitteln. Überall glaubte er in den Hermetischen Schriften ihre Spuren zu sehen, und die Übereinstimmungen sind in der Tat groß. Nun kann man jene spät-jüdische Mystik weder direkt aus Philon ableiten, der in der religiösen Literatur der Juden nie genannt und schwerlich viel benutzt ist, noch die lange Zeit in ihrer Bedeutung überschätzten Essener für diese gewaltige Entwicklung verantwortlich machen oder mit Franck alles aus babylonisch-persischen Einflüssen erklären. Auch das Zauberwort „Gnostizismus“ hilft uns zu einem geschichtlichen Verstehen nicht viel, so überraschend oft die Ähnlichkeiten sind. Denn schlagend scheint Karppe') erwiesen zu haben, daß die Hauptschrift der Kabbala, der Zohar, erst im XIII. Jahrhundert entstanden ist?), und sicher mit Recht sucht derselbe Autor das allmähliche Anwachsen dieser mystischen Richtung im Judentum selbst zu verfolgen. Fraglich aber erscheint, ob seine Erklärung, die den jüdischen Mystizismus vollständig isoliert, genügen kann.

So sei es gestattet, die Wechselwirkungen zwischen ägyptischer und jüdischer Theologie, die ich mehrfach schon hervorgehoben habe, noch einmal in ihrem Zusammenhang, soweit ich kann, zu verfolgen. Würde doch ohne einen, wenn auch noch so ungenügenden

1) Etude sur les origines et la nature du Zohar, Paris 1901.

2) Freilich scheint er weder eine Fälschung des Moses von Leon noch überhaupt das Werk eines Mannes. Auf orientalischen Ursprung weist die Geschichte des jüdischen Mystizismus, die Karppe näher verfolgt.