Sadismus, Masochismus in Kultur und Erziehung

22 Sadismus, Masochismus in Kultur u. Erziehung.

anderen Tage mit absichtlicher Verspätung eintraf, erzählte mirseine Mutter, erseihöchst unruhig gewesen, ob ich überhaupt noch käme, da sein erster Empfang kein erbauender gewesensei. —

Im Verlaufe einer Woche suchte ich den Jungen durch meine Gesellschaft beim Schach- und Billardspiel zu zähmen und an mich zu gewöhnen. Bald stellte er sich als fürchterlicher Aufschneider und Prahlhans heraus: Sein Vater besitze fünf ‚Millionen, er bekomme aber nur (!) 150 Fr. monatliches Taschengeldusw. Auch sexuelle Anspielungen auf lügenhafter Basis setzte er in Szene, z.B., daß einige junge Mädchen aus der Umgebung ihm nachliefen, er aber sie nicht leiden könne (was sich als das Gegenteil herausstellte). Er sei sehr leidend, nervös (was auch auf Prahlsucht basierte, da nur reiche Leute nervös sein dürfen), habe Ohnmachtsanfälle und könne deswegen nicht weiter wie Ioo Schritte von der Anstalt sich entfernen. Alle meine Vorstellungen, weitere Spaziergänge zu machen, prallten an der Ohnmachtsidee ab. Bald bemerkte ich, daß er in Gegenwart anderer Personen sich gegen mich familiärer betrug, als wenn ich mit ihm allein war. Auch dieses führe ich auf Prahlsucht zurück —, da er mich in meiner Abwesenheit bei seiner Mutter und seinen Mitpatienten sehr schätzte. Es hatte also den Anstrich, als ob er in Gegenwart Dritter sagen wollte: seht, mit solch einem gebildeten Herrn stehe ich auf gleichem Fuß. Dabei erzählte er mir von allen seinen Mitpatienten immer etwas Lächerliches oder Herabsetzendes. —

In allen Handlungen und Entschlüssen bis zu den kleinsten (z. B. ob er Billard oder Schach spielen soll) verriet er ein fortwährendes Schwanken; fragte immer, was ich dazu meine, wählte sofort das Gegenteil von meiner Meinung, um aber sogleich wieder zu meiner Ansicht zurückzukehren, dieselbe selbst näher begründend und ausführend. Wiederum muß ich Adlers Worte anführen: „Der Egoismus nervöser Menschen, ihr Neid, ihr Geiz oft ihnen unbewußt ihre Tendenz, Menschen und Dinge zu entwerten, stammen aus dem Gefühl der Unsicherheit und sind bestimmt, sie zu sichern, zu lenken, anzuspornent)‘“. —

!) Ueber den nervösen Charakter Seite 18.