Sadismus, Masochismus in Kultur und Erziehung

Sadismus, Masochismus in Kultur u. Erziehung. 27

Später wurde sein Minderwertigkeitsgefühl noch gestärkt, als er den Geiz des Vaters wahrnahm, welcher ihm sogar das Benützen der Trambahn zur Schule verbot. Ich lernte den Vater kennen und war erstaunt, wie viel Gemeinsames derselbe mit seinem Sohn hatte. Dieselbe Geschwätzigkeit als Deckmantel verschiedener Defekte (Minderwertigkeit), fortwährendes Klagen über sein unglückliches Familienleben (Krankheit von Frau und Sohn), ein krasser Egoismus, welchen ich ausdrücken könnte: Ich und mein Geld sind der Mittelpunkt, alles dreht sich um uns. —

Der Vater gestand, daß er so manchen Mißgriff bei der Erziehung getan, daß er aber im großen und ganzen sich für seine Familie ‚„opfere‘“.

Nach Florenz machte mir der Sohn kein Hehl aus seinen vaterfeindlichen Gefühlen. Er war in das außereheliche Leben des Vaters gedrungen und wollte einmal seine Mutter rächen. Auch der Haß für die früheren Körperleiden, als deren Folge er teilweise mit Recht seine Nervosität betrachtete, kam wie der Haß des befreiten Sklaven gegen den früheren Herrn auf die Oberfläche. Da alle seine kleinen Liebschaftsversuche in Paris immer kläglich geendet hatten, glaubte er auch sein Minderwertigkeitsgefühl, welches ihn zum Lügen und Prahlen drängte, was oft zu noch tieferem Falle führte (Lächerlichkeit) aus der falschen Erziehung zu deduzieren.

Während der sieben Wochen in den Bergen erholte sich der Junge zusehends; physisch litt er gar nicht; die unstete Unruhe hatte erheblich nachgelassen; der fortwährende Stimmungswechsel ist fast verschwunden; Masturbation selten. Ich muß hinzufügen, daß mein Zögling bis Februar 1912 ein Pariser Lyzeum besuchte und gut lernte; im Februar ist er auf der Straße besinnungslos aufgefunden worden und hat dann während zwei Monaten das Bett gehütet mit fortwährend erhöhter Temperatur; die Ärzte haben keine feste Diagnose aufgestellt und ist der Vorfall als eine schwere Pubertätskrise charakterisiert worden. Der Patient erzählte mir, er habe das Gefühl einer Lähmung der rechten Gesichtshälfte gefühlt und sei dann ohnmächtig geworden.