Zwölf Tage auf Montenegro : Heft 1. Reisebericht

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höher, und je höher wir ſtiegen, deſto ſteiler. So auffallend war unſere Täuſchung geweſen, als wir aus unſerem grünen Laubgehölze die weißliche Kuppe des Berges gegen den blauen Himmel meſſen wollten. Mir wollte es um der ſchönen Zeit, die wir vielleicht hätten beſſer benußen können, faſt leid thun, indem ih kaum noh etwas Neues zu finden hoffte; allein nur no< zehn Minuten Geduld, und wir ſollten uns doh wenigſtens wiederum an dem herrlichen Anbli>e des nahen, blauen, adriatiſchen Meeres laben. Jn aller Pracht wurde uns dieſer Genuß zu Theil. Auf dem höchſten Gipfel des Berges, wo man in der Mitte eines großen Steinhaufens einen abgehauenen, und ſeiner Aeſte beraubten kleinen Baumſtamm als Marke auf- geſte>t hatte, nahm ih meinen Standpunkt, und überſah weit und breit das Waſſer und die Gebirge. Erſk badeten ſich meine von der blendenden Sonne angegriffenen und erhißzten Augen in dem kühlen Blau des adriatiſchen Meeres, dann ſuchten ſte Apulien, aber, da wir nicht hoch genug ſtanden, vergebens. Das öſterreichiſche Küſtenland war von den unter unſern Füßen liegenden Vorgebirgen verde>t, die mit ihrem oberen Saume unmittelbar in die Fluth zu tauchen ſchienen. Nach Norden und nah Nordoſten reihten ſih Berge an Berge, welche die kleineren und größeren Thäler des Hochlandes verde>ten und im Oſten thronte der graue Sutorman, eine hohe Zinne von Montenegros Felſenfeſtung.

Mit wahrer Begierde ſah ih nah Süden hinab. Da hauſten die Türken! Aber mein Auge unterſchied bei dem weiten Abſtande in der Tiefe kaum die Wohnungen von Antivari, wo eine lange {male Erdzunge ins adriatiſche Meer hineinragte. Im Uebrigen verliefen ſich in der Ebene vor uns die einzelnen Partieen, und hinter ihr thürmten ſih hohe Gebirge mit Päſſen und Schluchten, auf denen hin und wieder ein türkiſches Fort hervortrat. Man nannte mir zur linfen Hand Monte Sentelie, dann die Tudemille Polie, Monte Rumia, Monte Liſſie und Planina Wirſuta. Todtenſtille herrſchte Über der Landſchaft und ih vernahm nichts. Doch mir war es, als wehte ein anderer Geiſt zu unſeren Höhen hinauf von unten her, wo eine andere Religion, eine andere Sprache, andere Sitten und andere Gebräuche herrſchten:

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