Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen : Voyslav M. Yovanovitch, 'La Guzla' de Prosper Mérimée, Étude d'histoire romantique.
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tum bespreche. Die Widmung Mérimée« ist am 27. August 1827 datiert. Am 10. Oktober 1827 steht in Goethes Tagebuch: ‘Abends Guxla gelesen und betrachtet.’ 1 Am 16. März 1828 diktierte er den Aufsatz über die serbischen Volkslieder, am Tage darauf den über die Guxla. Nun meint Yovanovitch, die ‘untergeschobenen dalmatischen Gedichte’ seien die Druckbogen der Guxla, die Goethe entweder direkt vom Verleger aus Strafsburg oder von Gerhard aus Leipzig erhalten habe. Es sei nicht wunderbar, dafs Goethe die Fälschung erkannt habe, da ihm die serbischen Dichtungen so vertraut waren und er oft darüber gesprochen und geschrieben habe. Er fügt dann hinzu : Mais s'il suspecta les ballades dalmates, il ne pensa pas un moment que Mérimée en pût être l'auteur, avant d'avoir reçu de lui l’exemplaire qui portait sa signature. Also nach Yovanovitch hätte Goethe zwar gleich die Gedichte als Fälschungen erkannt, aber dafs Mérimée dahintersteckte, das hätte er erst durch die Dedikation erfahren. Aber das ist ja gerade das Rätselhafte, was Mérimée, und nach ihm Filon, die höhnische Bemerkung machen läfst. Und noch etwas anderes ist mir unverständlich geblieben, und auch Yovanovitch scheint dabei nichts aufgefallen zu sein. Goethe sagt: ‘Wir wurden aufmerksam, dafs in dem Wort Guxla der Name Gaxul verborgen liegt.’ Yovanovitch übernimmt von Chambon die nicht gerade sehr zutreffende Übersetzung: Dans le mot Guxla se cache le nom de Gaxul. Besteht denn nun wirklich ein Zusammenhang zwischen den beiden Namen? Oder ist das nur ein Zufall? Goethe kannte das Wort sehr gut, er verwendet selbst schon früher sogar die richtige serbische Pluralform gusle. Also das Wort konnte ihn nicht weiter überraschen. Und Gaxull In dem Vorwort zum Théâtre de Clara Gaxul läfst Mérimée die Komödiantin sich bezeichnen als arrière-petite-fille du tendre Maure Gaxid, si fameux dans les vieilles romances espagnoles. Herder hatte in seine Volkslieder aus den Guerres civiles de Granada den Zyklus Gaxul und Lindaraja, Gaxul und Zaida aufgenommen, also konnte auch der Name Gaxul Goethe nicht weiter überraschen. Daher ist mir seine Wendung: ‘Wir wurden aufmerksam, dafs in dem Wort Guxla der Name Gaxul verborgen liegt’ ebenso unverständlich wie der Zusatz: ‘Auch blieben deshalb angestellte Nachforschungen nicht unbelohnt.’ Sind übrigens die ‘untergeschobenen dalmatischen Gedichte’ mit der Guxla identisch? Fast sollte man nach der trockenen, ernsthaften Notiz: ‘Abends Guxla gelesen und betrachtet’ das nicht vermuten. Und endlich ist eines sonderbar. Das Weimarer Bändchen, darauf machte mich Herr Dr. Kroeber aufmerksam, macht den Eindruck, als wenn es wenig gelesen sei. Mir erscheint es immerhin auch merkwürdig, dafs Goethe, bei dem grofsen Interesse, das er an der Sache hatte, nicht in erster Linie überrascht ist, dort mit interessanten Varianten seinen ‘Klagegesang’ wiederzufinden. Von all diesen Zweifeln hat mich auch Yovanovitch nicht befreit. Das liegt aber wohl in der Natur der Sache, und es soll nicht im geringsten ein Vorwurf für das so wertvolle Buch sein, dafs man trotz manchmal fast erdrückenden Materials mit dem Gefühl aufrichtigsten Dankes für vielseitigen Genufs und reiche Belehrung aus der Hand legt. Da Yovanovitch dem Schreiber dieser Zeilen die Ehre erweist, auch seiner Aufsätze über Colomba zu gedenken, so ist es vielleicht nicht unbescheiden, ihn für Mateo Falcone (S. 527) auf die Abhandlung in dieser Zeitschrift (CXI, 1903, S. 358 ff.) zu verweisen.
1 Y. zitiert ungenau liant la toirét, lu la Guzla (S. 468). Schlecht ist auch die von Chambon wörtlich Übernommene, nur etwas vervollständigte Übersetzung der Goetheschen Anzeige der Guzla S. 464 f., namentlich der Schlufs, der den Sinn gar nicht wiedergibt.