Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 7.

Roman von F- v. Zobel 111 Oberſten häufig an deſſen Geſellſchaften Theil nahm, ſchnell lieben und ſ<häßen gelernt. Sie gehörte in erſter Reihe zu denen, die tiefer und inniger in das Weſen der alten > Dame einzudringen verſtanden, das der Seelenſtimmung des jungen Mädchens, namentli<h in dex- lebtvexfloſſenen ſchweren Zeit, wie etwas Verwandtes erſchien. Lucia war deshalb glüdſi<h geweſen über den Entſchluß der Frau v. Sporken, ihren einſamen Wittwenſiß zu verlaſſen und ganz zu ihr zu ziehen; es wax das der Verlaſſenen wenig= ſtens ein ſ<wacher Erſaß für den verlorenen Vater. i Frau v. Sporken war eine ſchlanke ätheriſ<he Erſchei= nung, die man nie anders als in blaſſes Grau gefleidet ſah. Dieſe lichte Farbe harmonirte auh am beſten mit ihrem zarten Teint und mit den ſ{hneeweißen Haaren, die ſi in ſ<li<hter Scheitelung übex die hohe, kluge, leicht gefalteie Stirn legten. Jhr Antliÿ zeigte unendlich viel Liebe und Güte, trobdem ſelten ein Lächeln über die feinen Lippen ſpielte, ihre Augen waren grau und flax und ſahen, obwohl ſie ſo manche Thräne im Leben geweint, noch ſcharf und durchdringend wie die eines jungen Mädchens. Frau v. Sporken hatte Lucia den Arm gereicht, die blaß und leidend ausſhaute und um deren dunkle Augen noh der Schatten der ſoeben überſtandenen Krankheit lag. „Der Himmel freut ſi< niht darüber, daß ih wieder geſund geworden,“ ſagte ſie lächelnd und deutete nah dem Fenſter, gegen das nah wie vor Regen und Hagel klopf= ten; „das iſt ein e<ter Frühlingsſturm, dex die über Nacht aufgekeimten Blüthenknospen unbarmherzig wiedèr zu knien vermag.“