Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.
Roman von Georg Hartwig. 109
abhoben. Bis über den Fluß hinüber, dur eine zierliche Bogenbrücke mit den diesſeitigen Anlagen verbunden, er= ſtre>te ſich der reiche Grundbeſiß des Stiftes, terraſſen= förmig anſteigend gegen eine mächtige Weißdornhe>e, deren undurchſichtiges Zweiggewirr jeden neugierigen Einbli> abiwehrte.
Die äußeren Angelegenheiten der Stiftung unterlagen dem Beſchluſſe eines Kuratoriums, die inneren dagegen leitete gemäß den Statuten eine Oberin, zur Zeit eine lieben8würdige alte Dame, als deren Buſenfreundin und Nachfolgerin man unverhohlen Tante Käthe bezeichnete. Ueberhaupt erwies ſi< unter den zwanzig Stiftsfrauen, deren Zahl nicht überſchritten werden durfte, Tante Kä= the’s friſher Humor und ihre geſunde Leben3anſchauung als ein wixfſames Mittel gegen geiſtige Stagnation in dieſem ehrwürdigen Hauſe, weshalb auh ihre Perſönlich= feit ſich einex allgemeinen und neidloſen Beliebtheit zu er-= freuen hatte.
Ín dieſe halb klöſterliche Zurückgezogenheit führte Frau v. Langen ihre unglü>liche Pflegebefohlene. Nach einem eingehenden Geſpräch mit der Oberin, worin dieſe die volle Wahrheit erfuhr, ward ausnahmêtweiſe dex längere Auf-= enthalt einer Fremden im Stift geſtattet unter der Be= dingung, daß keinerlei Störungen dur<h die Anweſenheit derſelben verurſa<ht würden.
Die Tage famen und gingen, ohne daß Jrmengard's Stumpfſinn ſich in etwas gelichtet hätte. Sie blieb apathiſ< und wortlos auf der nämlichen Stelle ſißen, wo Tanlte Käthe ſie früh hinzuführen pflegte. Allen Aufmerkſam=