Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.
92 Der Talisman des Weibes.
würdevoller Faſſung an das blumenüberſtreute Lager ihres Lieblings. Die Stunde der ſchwerſten Trennung nahte, und ſie wollte ungeſehen und ungehört Margarethen die heilige Weihe ihrer ſegnenden Liebe mitgeben in das düſtere Reich der Todten. Andächtig ſank ſie neben dem ſtillen Antliß nieder und wiederholte ſi< im Geiſte Alles, wodurch Margarethens Charakter ihre mütterliche Freundin beglüdt und erfreut hatte.
„Du biſt vielleicht zu gut geweſen für dieſe Welt,“ flüſterte ſie leiſe, und über ihre Wangen rannen heiße Tropfen auf Margarethens kalte Stirn. „Du biſt viel= leicht zu rechter Zeit gegangen. JFſſt uns etwas Beſſeres beſchieden als Verweſung, wer könnte gerechteren Anſpruch darauf machen als Du, die beſte, die ſanfteſte aller Frauen? Wo Du auch weilen magſt, im finſteren Grabe oder int lichten Höhen, die Strahlenkrone Deiner Liebe wird überall leuchten, daß wir Dich nie vergeſſen können, mein trauter Liebling, nie! Und nun,“ haute ſie mit gebro= ener Stimme, „nimm meinen lebten Kuß! Leb” wohl, Gretchen — mein liebes, liebes Gretchen!“
Als ſie aufſchaute, ſtand Hans Meiſchi> an der ent= gegengeſeßten Seite des Sarges und reichte ihr über dent= ſelben hinweg ſtumm die Hand. Tante Käthe richtete ſich daran empor, behielt ſie aber auh dann noh in der ihren, als ſie keiner Stübhe weiter bedurfte.
„Hans,“ ſagte ſie mit tiefer, inniger Betonung, und über ihre verhärmten Züge glitt ein weicher Schimmer, „Hans, hier an dieſer Stelle danke ih Dir für das, was Du Margarethe in den zwei Jahren Eurer Che geweſen