Bitef

Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität 1. Die Grausamkeit war stärker als jede Kultur. Das Bild des Gekrezigten hat unsere Kultur seit vielen Jahrhunderten begleitet. Freilich wird es selten mit vollem Bewußtsein betrachtet: eine Folterung mit Tötungsabsicht. Für die christliche Religion war dies die höchste Unrechtstat. I-ösen wir die Kreuzigungsszene aus dem Zusammenhang gläubiger Überlieferung: der Tod am Kreuz wurde unzählige Male verhängt und erlitten. Ein Mensch, unbotmäßig gegen die herrschende Macht, wird um Leib und Leben gebracht. Es gibt aber sanfte Tode. Man hätte ihm die Pulsadern öffnen, ihn den Schirlingsbecher trinken lassen können. Aber diese letzte Güte in der Menschentötung durch Menschen wird ihm vorenthalten. Der schmerzlose Tod wird verweigert. Tod an sich ist noch nicht Strafe genug. Wenn es so sein sollte, daß nicht Platz für beide ist, wenn einer den anderen töten will, so ist das noch keine Begründung für die Grausamkeit. Sie kommt erst als zweites Motiv zur Tötungsabsicht hinzu. Denn Grausamkeit ist Lustgewinn aus den Leiden des Gefolterten. In stilleren Zeiten, in kleinen Mengen im Alltag verteilt, bricht Grausamkeit periodisch in einem Sturm der Vernichtungswut über jene herein, die im Augenblick die Schwächeren sind. Das an so vielen Plätzen aufgestellte Kreuz mit dem unter Qualen verstorbenen ist ein Mahnmal: Töten heißt Schuld auf sich laden. Schuldgefühle sollen der Lust am Foltern entgegentreten. Wir müssen uns eingestehen, die Mahnung hat versagt. Zu viele Menschen foltern nach Jahrtausenden der Predigt, des Gebots, nicht zu töten. Lust ist erfindersich, auch Folterlust. So ist es unausbleiblich, daß der Anblick des Gekreuzigten wider alle bewußte Absicht nicht nur Mitleid,, Schuld erweckt, sondern verborgene, verbotene Lust am Töten und Zerstören. Die Folterknechte sind keine andere, keine fremde Rasse. Mehr oder weniger sind wir alle verführbar, den Mit-

- ■ Г: РЏ ЌШШРР \ erL Ku 1 tu rh die Die großen J Konfuzius, Laotses h'aod. weisheitsgesättigte Weltüberwid eine Ruhe vermittelt, die auch uns erhaben erscheint. Weisheit heißt hier Überlegenheit über den verblendenden Zwang, dem Verlangen nach Lust folgen zu müssen. Wem ist aber die Selbstüberwindung, wie Buddha auf seinem Weg ins Nirwana bewies, gelungen? Das größte Problem der Askese taucht auf. Bringt die Bekämpfung der Sinnlickeit schon Freiheit? Welchen Einfluß hatte die großartige innere Freiheit Laotses auf die Milderung der ausgeklügeltsten Foltergelüste, an denen die chinesische Geschichte so reich ist? Weisheit wurde nicht angenommen, nicht bei uns aus der Vorbildlichkeit des Gekreuzigten, noch dort aus der Vorbildlichkeit des vom Zwang der Wiedergeburten Erlösten. Man hat unserem Jahrhundert schon viele Namen gegeben, auch den eines „Jahrhunderts der Folter“. Einen Unterschied in der erbarmungslosen Verfolgung und lustvollen Erniedrigung des Gegners kann man zwischen dem Westen und dem Femen Osten beim besten Willen nicht entdecken. 3. Erlösung kommt nicht von außen. Die Kulturleistungen der großen Religionen nehmen sich aus wie der Diamant in der Kohlenhalde. An der vitalen Kraft, aus der Grausamkeit und Zerstörungslust leben, hat sich im Grundsatz nichts geändert. Unser Jahrhundert der Folter setzt mit neuem Schwung und ungeniert fort, worüber sich zuletzt auch das bürgerliche Jahrhundert in seinem imperialen Besitzungen nicht geschämt hat: den Stolz auf seine Brutalität. Die Produktionskraft der Industriegesellschaften ist in wenigen Jahren schwindelfaft gestiegen. Aber auch das Ausmaß der Schrecken tat es. Es ist nicht mehr Not wie vor 30 Jahren, die neidisch, hämisch, unversönlich, boshaft machen müßte. Es ist überhaupt nicht nur die böse Gesellschaft, die uns da entfremdet. Die Quellen der Aggression sind vielmehr die Quellen, die in uns fließen, zu unserer Natur gehören. Zu hoffen, daß wir von außen, von einem Heilbringer, von unseren Triebwünschen

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