Bitef

Teufels an den Menschen. Gretschen: die entscheidende Probe aufs Exempel de Paktes. Sie bewahrt Faust vor dem endgültigen Verfallen an Mephisto - und entscheidet sich, für sich, im Kerker gegen ihn. Neue Lektüre: die Forschungen des Göttinger Germanisten Albrecht Schöne. Er entwickelt eine Fassung der Walpurgisnacht, die die von Goethe geschriebenen, aber mit Rücksicht auf den Zeitgeschmack nicht veröffentlichten Texte benutzt: eine obszöne Schwarze Messe wird erkennbar. Noch wichtiger als die philologische Rekonstruktion des Textes ist für das Theater eine dramaturgische Konsequenz: die Walpurgisnacht wird deutlich als Gegenpol zum Prolog im Himmel. In der Satansmesse steht Mephisto unmittelbar davor, die Wette mit dem Herm.zu gewiennen. Faust ist bereit, sich an die Welt Satans zu verlieren; Flimm verschärft diesen Befund noch, indem er die Texte eines „Knieenden“, der dem Satan huldigend den Hintern küßt, Faust net. Die Erscheinung Gretchens ist dann, in Fausts realistischer Vision, Abbild jenes Ketzer-Hexenprozes-

ses, den die Inquisition der Kindsmörderin macht und an dessen Ende sie mit Feuer und Schwert vertilgt wird. Gerade diese Erscheinung zieht Faust aus dem Höllenschlund, dem Satansarsch. Gretchens Vernichtung rettet Faust. (Doch am Ende der Kerkerszene ist sie gerettet und Mephisto holt Faust, her zu mir: der erste Teil des Faust beläßt den Zustand der Wette in ironischer, dialektischer, tragischer Widersprüchlichkeit.) Eine Textfassung für die Inszenierung entsteht, optische Überlegungen und Sekundär-Lektüre einbeziehend, Die Faust-Mephisto Dialektik, erzählbar als Kampf und Kumpanei, entfaltet sich in der ersten Hälfte des Abends. Die Gretchen-Geschichte wird zur zentralen Machtprobe - immanent zwischen den Partnern Mensch und Teufel, abgehoben in der Polarität von Prolog im Himmel und Walpurgisnacht. Um diese funktionale Rolle der Gretchenwelt sichtbar zu machen, muß der Mikrokosmos, die kleine Welt in ihrer Enge und Kargheit, ernstgenommen, nicht denunziert werden. Die Zwischenstationen Auerbachs Keller und Hexenküche fallen weg, der Schub der Kraftproben im Studierzimmer führt

direkt in die konkrete Auseinandersetzung über Gretchen. Da Spiel der schwankenden Gestalten bedarf keiner illustrativen Nebenschauplätze. (Ebensowenig einer Theater-aufdem-Theater Begründung - also fällt im Verlauf der Proben auch das Vorspiel auf dem Theater weg). Die Naturszenen Wald und Höhle und Trüber Tag, Feld werden deutlich als in Wahrheit existenzielle Angst-Kämpfe, zu spielen auf nackter Bühne, mit Blick nach oben. Auf der Leseprobe zitiert der Mephisto-Darsteller einen Text von Günther Anders über die Antiquiertheit des faustischen Menschen. Angesicht dessen, was (wie wir heute wissen) mit Wissen erreicht werden kann, nämlich das Auslöschen allen Wissens, aller Erinnerung und aller Hoffnung, ist das Streben nach immer mehr Erkenntnis kein reines Ziel mehr, vielmehr eine Schreck-vision. Daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält - wir wissen, was das Innerste der Welt ausseinandersprengt. Faust also ein furchtsam weggekrümmter Wurm ? Ein Verzweifelter, dem nur noch jener die Zeit der Angst verkürzen kann, der

seltsam solidarisch fest stellt Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen., der arme Teufel, der Schalk ? Faust und Mephisto, beide sich aus Lumpen und Asche herauswühlend, zwei Alte, die nur noch eins im Sinn haben: endlich enden? Auf einer der ersten szenischen Proben dann die Antwort des FaustDarstellers: die Selbstmord-Sehnsucht in der Osternacht erscheint nicht als Verenden sondern als Kraft, nicht als Feigheit sondern als Aufrichten des Rückgrates, nicht als Verlöschen sondern als behauptetes Moment von Freiheit. Vor jener dunklen Höhle nicht zu beben, / ln der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt, / Nach jenem Durchgang hinzustreben, / Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt. Dann läßt die Erinnerung, so sehr er sich auch dagegen wehrt, auch Hoffnung zu, Kindheit - mit Ernst Bloch zu sprechen: Heimat. Der Fortgang und der Ausgang der Geschichte vom Faust zeigt, daß es dabei abermals nicht bleibt. Verluste folgen, Verletzungen, Verderben, Tod; die Apokalypse fletscht, eher pornographisch, ihre Zähne. Am Schluß geht ein alter Mann vorüber und sagt Gerettet. Der Andere insi-

mel mitten in einer wundersam bläulichen Atompilzwolke sehr ernst und kalt thront (Walter Stickan). Er gebietet einer Welt kriechender Engel und eben auch jenem im Erdenstaub liegenden Teufel, der blaß und verdrossen in seiner Ecke kauert, halbnackt, sehr unwirsch. Ein sarkastischer Grobian, der ein ungemein höhnisch-fiepsendes gaumiges Gelächter pflegt. Nun, nachdem alles vorbei ist, lehnt dieser Mephisto in einer Vertiefung vor der Rampe, macht unendlich gelangweilte, winkende Gesten: Her zu mir! Gott verschwindet, und der vordem noch verjüngte, frische Faust wird unvermittelt zu dem, was er einst war: ein alter, gebrochener, halb blinder, tappender Mann, der am sterbenden Gretchen vorbei Arm in Arm mit Mephisto der Unterwelt zuwankt. Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle. Bei Claus Peymann, damals in Stuttgart, bestand Fausts Weg aus einem wirbeligen Taumel durch die Welt des Theaters als einer Riesenbude des (bürgerlichen) Scheins. Und Gott war nur ein Pappkamerad unter vielen. Bei Klaus Michael Gröber in Berlin machte sich der alte, schon gegen die Erstarrung im Tode kärap-

stiert, nicht laut aber nachdrücklich!: Her zu mir! Und die Rufe des Mädchens „verhallen“, steht bei Goethe.□ (Völker Canaris)

Gott ist die Hölle Einen Faust II kann es nach der Tragödie erstem Teil in Köln eigentlich kaum noch geben. Denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß jener eiseskalte, weiße sibirische Gott, der zwar in Filzpantoffeln, aber gleichwohl unnahbar am Ende über die Bühne wandelt und ein geschäftsmäßiges „Ist gerettet!“ über dem starr am Boden liegenden Gretchen ausspricht, dem Faust Erlösung schüfe irgendwann. Mephisto nämlich hat die Wette gewonnen: aber kein Ätsch, kein Triumph. Solche Wetten und Kämpfe um das Heil und die Seele eines Menschen sind nur noch müde, ennuyierte, blasierte Spielvorschläge eines Gottes, der im Prolog im Hirn-

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