Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1, str. 160

102 Erſte Ordnung: Affen; erſte Familie: S<hmalnaſen (Menſchenaffen).

er das betreffende Getränk, und niemals trank ex, ohne ihn zuvor herzuſtellen. Nachdem er das ihm gereihte Glas ſorgfältig berochen hatte, bildete er ſeinen Löffel, goß das Getränk hinein und ſchlürfte es ſehr bedächtig und langſam zwiſchen den Zähnen hinunter, als ob er ſih einen re<t dauernden Genuß davon verſchaffen wollte. Nicht ſelten währte dieſes S<hlürfen mehrere Minuten lang, und erſt dann hielt er ſein Glas von neuem hin, um es ſi wieder füllen zu laſſen. Er zerbrach niemals ein Gefäß, ſondern ſette es ſtets behutſam nieder und unterſchied ſih hierdur< ſehr zu ſeinem Vorteile von den übrigen Affen, wel<he, wie bekannt, Geſchirre gewöhnlih zerſ<hlagen.

Nur ein einziges Mal ſah ſein Beſißer, daß er ſih an der Shiffswand aufrichtete und ſo einige Schritte weit ging. Dabei hielt er ſi jedo< wie ein Kind, welches gehen lernt, immer mit beiden Händen feſt. Während der Reiſe kletterte er ſelten umher und dann ſtets langſam und bedächtig; gewöhnlih that er es nur dann, wenn ein anderer, kleiner Affe, ſein Liebling, wegen einer Unart beſtraft werden ſollte. Dieſer flüchtete ſi< dann regelmäßig an die Bruſt ſeines großen Freundes und klammerte ſich dort feſt, und Bobi, ſo hieß der Drang-Utan, ſpazierte mit ſeinem kleinen Schüßlinge in das Takelwerk hinauf, bis die Gefahr verſhwunden ſchien.

Man vernahm nur zwei Stimmlaute von ihm: einen \{hwachen, pfeifenden Kehllaut, welcher GemütSaufregung kennzeichnete, und ein ſ{hre>lihes Gebrüll, welches dem einer geängſteten Kuh etwa ähnelte und Furcht ausdrückte. Dieſe wurden einmal durc eine Schule von Potwalen hervorgerufen, welche nahe am Schiffe vorüberſ<wanmm, und ein zweites Mal dur den Anbli> verſchiedener Waſſerſchlangen, welche ſein Gebieter mit aus Java gebracht hatte. Der Ausdru> feiner Geſichtszüge blieb ſi< immer gleich.

Leider machte ein unangenehmer Zufall dem Leben des ſhönen Tieres ein Ende, noh ehe es Deutſchland erreichte. Bobi hatte von ſeiner Lagerſtätte aus den Kellner des Schiffes beobachtet, während dieſer Numflaſchen umpackte, und dabei bemerkt, daß der Mann einige Flaſchen bis auf weiteres liegen ließ. Es war zu der Zeit, als er ſi< {hon um 2 Uhr nahmittags zu Bette legte. Jn der Nacht vernahm ſein Herr ein Geräuſch in der Kajütte, als wenn jemand mit Flaſchen klappere, und ſah beim Schimmer der auf dem Tiſche brennenden Nachtlampe wirkli eine Geſtalt an dem Weinlager beſchäftigt. Zu ſeinem Erſtaunen entde>te er in dieſer ſeinen Orang-Utan. Bobi hatte eine bereits faſt ganz geleerte Numflaſhe vor dem Munde. Vor ihm lagen ſämtliche leere Flaſhen behutſam in Stroh gewickelt, die endlich gefundene volle hatte er auf geſchi>te Weiſe entkorkt und ſeinem Verlangen nah geiſtigen Getränken völlig Genüge leiſten fönnen. Etwa 10 Minuten nach dieſem Vorgange wurde Bobi plößlih lebendig. Er ſprang auf Stühle und Tiſche, matte die lächerlihſten Bewegungen und gebärdete ſih mit ſteigender Lebhaftigkeit wie ein betrunkener und zuleßt wie ein wahnſinniger Menſ<h. Es war unmöglich, ihn zu bändigen. Sein Zuſtand hielt ungefähr eine Viertelſtunde an, dann fiel er zu Boden; es trat ihm Schaum vor den Mund, und ex lag ſteif und regungslos. Nach einigen Stunden kam er wieder zu ſi, fiel aber in ein heftiges Nervenfieber, welches ſeinem Leben ein Ziel ſetzen ſollte. Während ſeiner Krankheit nahm er nur Wein mit Waſſer und die ihm gereihten Arzneien zu ſich, nichts weiter. Nachdem ihm einmal an den Puls gefühlt worden wax, ſtre>te er ſeinem Herrn

“jedeômal, wenn dieſer an ſein Lager trat, die Hand entgegen. Dabei hatte ſein Blik etwas jo Nührendes und Menſchliches, daß ſeinem Pfleger öfters die Thränen in die Augen traten. Mehr und mehr nahmen ſeine Kräfte ab, und am 14. Tage verſchied er nah einem heftigen Fieberanfalle.

- Jh habe mehrere lebende Orang-Utans beobachtet, keinen einzigen aber kennen gelernt, welcher mit éinem Schimpanſen gleichen Alters hätte verglichen werden können. Allen fehlte die leßteren ſo auszeihnende ne>iſhe Munterkeit und die Luſt zu ſcherzen: ſie waren