Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1
Verdauung. Gefühl, Geſchma>. 15
Das Gefühl dürfte unter allen Sinnen derjenige ſein, wel<her am wenigſten hervortritt: und wie ausgebildet iſt gerade dieſer Sinn bei den Säugetieren! Das gewaltigſte Waltier ſoll durc die geringſte Berührung ſeiner Haut zum ſofortigen Tieftauchen bewogen werden; der Elefant ſpürt augenbli>lih die Fliege, welche ſih auf ſeinem di>en Felle feſtſezt; dem Dehſen verurſacht leiſes Krabbeln zwiſchen ſeinen Hörnern angenehmen Kigel; den ſchlafenden Hund erwe>t das ſanfteſte Streicheln. Und alle dieſe Tiere ſind gefühllos zu nennen im Vergleiche zum Menſchen. Bei ihm iſt die äußere Haut ja ſo zartfühlend, daß auh der leiſeſte Lufthauch, welcher ſie trifft, empfunden wird. Der Taſtſinn zeigt ſih zwar ſhwächer als die Empfindung, aber doh überall mindeſtens in demſelben Grade wie bei den Vögeln. Selbſt die Einhufer beſißen ein gewiſſes Taſtgefühl in ihren Füßen troß des Hornſchuhes, wel<her vom Hufbeſchläger wie ein dürres Stück Holz behandelt werden kann; man muß nur ein Reittier beobachten, wenn es nachts das Gebirge hinauf- oder hinabſteigt: mit ſeinem Hufe prüft es den Weg, mit ihm betaſtet es den Boden. Die Taſtfähigkeit der Shnurrhaare iſ ſhon viel größer; die mit ihnen verſehenen Tiere taſten wohl faſt ebenſo gut wie viele Kerbtiere, welche ihren erſten Sinn in den Fühlhörnern tragen. Unſere Hauskagte, die Natte oder die Maus zeigen in ſehr erſichtliher Weiſe, wie nüblih ihnen die Shnurrhaare ſind: ſie beſ<hnuppern oft nux ſcheinbar einen Gegenſtand oder wenigſtens erſt, nahdem ſie ihn betaſtet haben. Allen Nachtſäugetieren dienen die SWhnurrhaare als unentbehrlihe Wegweiſer bei ihren nächtlichen Wanderungen: ſie erſeßen vielfach die edleren Sinneswerkbzeuge des Geſichtes und Geruches. Zu welcher bewunderung8würdigen Vollkommenheit aber der Taſtſinn in unſerer Klaſſe gelangen kann, hat jeder meiner Leſer an ſeiner eigenen Hand erfahren, wenn dieſe auh no< weit hinter der eines Künſtlers oder eines Blinden zurü>ſtehen dürfte. Die Hand iſt das vollkommenſte aller Taſtwerkzeuge: ſie kann das Geſicht, wenn auh nicht erſeßen, ſo doh oft und wirkſam vertreten. |
Der Geſhma>sſinn kommt, ſtreng genommen, erſt in unſerer Klaſſe zu allgemeiner Geltung. Ein gewiſſer Grad von Geſhma> darf zwar den Vögeln und auh den übrigen Wirbeltieren niht abgeſprohen werden; denn man kann beobachten, daß ſie manche Speiſen lieber freſſen als andere; allein der Sinn erhält doh nur bei wenigen Vögeln, z. B. bei den Papageien und Zahnſchnäblern, ein Werkzeug, welches vermöge ſeiner Weichheit und der hierdur<h wirfſam werdenden Nerventhätigkeit das Shme>en möglich ma<ht, während dieſes Werkzeug, die Zunge, bei der großen Mehrzahl ſo verhärtet und verkümmert iſt, daß es den chemiſchen Hergang des Schme>ens, die Auflöſung der Speiſeteile und die dann zur Sinneswahrnehmung gelangende Verſchiedenheit derſelben, unmöglich einleiten und befördern tann. Anders iſt es bei den Säugern. Hier iſt die Zunge regelmäßig ſ{me>fähig, mag ſie auh noch ſo hart und rauh erſcheinen. Salz und Zu>er äußern, wie jedermann weiß, faſt immer ihre Wirkung auf die Geſhma>swerkzeuge der Säugetiere; ſogar die Kazen verſhmähen dieſe beiden Stoffe nicht, ſobald ſie gelöſt ihnen geboten werden. Die harte Zunge des ſtumpfſinnigen Kamels welche dur<h nadelſharfe Mimoſendornen niht verleßt werden kann, widerſteht dem <hemiſchen Einfluſſe des Salzes nicht, ſondern fühlt ſih höchſt angenehm geſchmeichelt, wenn dieſer Zauberſtoff fühlbar wird; der Elefant, deſſen Zunge als ein ungefüges Stü>k Fleiſch erſcheint, beweiſt dur< große Zufriedenheit, Daß dieſes tlobige-Fleiſhſtü> mit Süßigkeiten oder geiſtigen Getränken äußerſt angenehm getißelt wird; und alle, ſelbſt die wildeſten Katen finden in der Mikch eine Le>kerei. Aber auh hinſihtli< des Geſhmades iſ es wieder der Menſch, welcher die hohe Ausbildung dieſes Sinnes am deutlichſten kundgibt: lernen wix doch in ihm oft genug ein Weſen kennen, welches in dem Reize dieſer Empfindung einen Genuß findet, der es niht nux die Wonnen der übrigen Sinnesthätigkeiten, ſondern auch alle geiſtigen Freuden überhaupt vergeſſen