Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1
Brunſt. Nachkommenſchaft. Lebenslauf. S1
aus dem Schlupfwinkel oder wieder in denſelben zurü>k, ſpielt mit ihnen und lehrt ſie ihre Nahrung erbeuten, gibt ihnen Unterricht, hält ſie wohl au< durch Strafen zum Gehorſam an und kämpft für ſie mit jedem Feinde, welcher es wagen ſollte, ſie anzugreifen. Die Liebe macht ſie erfinderiſch, friedliebend, mild, heiter gegen ihre Nachkommenſchaft, oder auh heftig und wütend, bösartig und zornig nah außen hin. Sie lebt und ſorgt bloß für ihre Kinder und ſcheint, ſolange ſie dieſe vollſtändig in Anſpruh nehmen, für nihts anderes Sinn zu haben. Selbſt das ernſthafteſte Tier wird als Mutter kindlich und ſpielluſtig, wenn ſein Kind dies wünſcht. Dhne Übertreibung kann man behaupten, daß ihr die Liebe und Zärtlichkeit, der Stolz und die Freude der Mutter an den Augen abzuleſen ſind: man muß nur einen Hund, eine Kate, ein Pferd, eine Ziege in Geſellſchaft ihrer Sprößlinge beobachten — keine Menſhenmutter kann ſtolzer als ſie auf ihr Kind ſein. Und ſie haben auch das vollſte Recht dazu; denn alle jungen Säugetiere ſind, wenn ſie nur erſt einigermaßen Herr ihrer Kräfte geworden, allerliebſte Geſchöpfe, welche ja ſelbſt uns große Freude bereiten.
Man kann bei jeder Säugetiermutter wahrnehmen, daß ſie ihr Betragen gegen ihve Zungen mit der Zeit weſentlih verändert. Je mehr das junge Volk heranwächſt, um ſo kälter wird das Verhältnis zwiſchen Mutter und Kind: die Alte kennt den Grad der Bedürftigkeit des leßteren genau und beſtrebt ſich, wie jedes Tier überhaupt, ſeine Nachkommenſchaft ſo raſh wie möglich ſelbſtändig zu machen. Deshalb entzieht ſie derſelben nah einer gewiſſen Säugezeit zunächſt die Milh und gewöhnt ſie nah und nah, ihre Nahrung ſi ſelbſt zu ſuchen. Sobald dieſer Zwe> erreicht und das junge Tier ſelbſtändig geworden iſt, endigt die Zärtlichkeit zwiſchen ihm und der Mutter, und jeder Teil geht nunmehr ſeinen eigenen Weg, ohne ſi um den anderen zu kümmern. Die geiſtig begabteſten Tiere, wie die Pferde und Hunde, beweiſen uns, daß ſih Mutter und Kind ſehr bald nach ihrer Trennung ſo voneinander entfremden, daß ſie ſih, wenn ſie wieder zuſammenkommen, gar nicht mehr kennen, während wir dagegen Beiſpiele haben, daß das geſhwiſterlihe Verhältnis zweier Jungen lange Zeit ſih erhalten kann.
Die zur Erlangung der Selbſtändigkeit eines Säugetieres notwendige Zeit iſt faſt ebenſo verſchieden wie ſeine Größe. Unter denen des Landes bedarf der Menſch entſchieden die meiſte Zeit zu ſeiner Ausbildung, ſelbſt der Elefant wird eher groß als er.
Wahrſcheinlih erreihen nur die großen Huftiere und die größten Meerſäuger ein höheres Alter als der Menſch. Jn demſelben Grade, in welchem die Entwickelung verlangſamt iſt, nimmt das Alter zu oder umgekehrt ab. Schon mittelgroße Säugetiere können, wenn ſie 10 Jahre alt geworden ſind, als greiſe Tiere betrachtet werden; bei anderen tritt das Greiſentum vielleicht erſt nah 20 Jahren ein: allein ein Alter von 30 Fahren, in welchem der Menſch doh bekanntlih erſt zur vollen Blüte gelangt, iſt ſhon ſehr ſelten. Das Greiſentum zeigt ſih ſowohl in der Abnahme der Kräfte wie au<h im Ergrauen des Haares, im Verkümmern des Gebiſſes und der Waffen wie in der Verkleinerung gewiſſer Schmucizeichen: ſo ſezen alte Hirſche geringere Geweihe auf als vollkräftige, Raubtieren werden Zähne und Krallen ſtumpf, alten Elefanten brechen vielfach die Stoßzähne ab oder werden riſſig und kernfaul. Ob der Tod unter den freilebenden Tieren vorwiegend durch Krankheiten oder aus Alters\{<wäche erfolgt, vermögen wir nict zu beurteilen. Die kranten pflegen ſih in die geheimſten Verſte>de zurückzuziehen, wunde oder verkrüppelte der geſellig lebenden Arten werden von ihresgleichen verlaſſen, ſogar ausgeſtoßen; ſie enden ihr Daſein im Verborgenen. Wir dürfen wohl annehmen, daß ſie verſchiedentlih, jung wie alt ſterben, daß ihnen tein beſſeres Los als dem Menſchen beſchieden iſt. Seuchen, welche in entſebliher Weiſe unter Tieren unſerer Klaſſe wüten, kommen vor; die Mäuſe z. B., welche ſih zuweilen ins Unglaubliche vermehren, ſterben in Zeit von wenig Wochen