Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3
Opoſſum: Aufenthalt. Sinnesſchhärſe. Blutgier. Fortpflanzung. 705
Reihe von paßartigen Sprüngen beſteht. Fn den Baumkronen dagegen klettert das Tier mit großer Sicherheit und ziemli<h hurtig umher. Dabei kommen ihm die abſtehenden Daumen ſeiner Hinterhände, mit welchen es die Äſte umſpannen und feſthalten kann, und der Nollſchwanz gut zu ſtatten. Nicht ſelten hängt es ſih an leßterem auf und verbleibt ſtundenlang in dieſer Lage. Sein ſ{<werfälliger Bau hindert es freilih, mit derſelben Schnelligkeit und Gewandtheit zu klettern, wie Vierhänder oder Nager es vermögen; doch iſt es auf dem Baume ſo ziemlih vor Feinden geborgen. Unter ſeinen Sinnen iſt der Geru< beſonders ausgebildet, und das Spürvermögen ſoll ſehr groß ſein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermeidet es deshalb ſorgfältig. Dies genügt alſo, um anzunehmen, daß auh das Geſicht ziemli<h gut ſein muß. Die anderen Sinne aber ſtehen unzweifelhaft auf einer ſehr niedrigen Stufe.
In den großen, dunkeln Wäldern ſchleiht das Opoſſum bei Tag und Naht umher, obgleih es die Dunkelheit dem Lichte vorzieht. Da aber, wo es Gefahr befürchtet, ja ſhon da, wo ihm das Tageslicht beſhwerlih fällt, erſcheint es bloß nachts und verſchläft den ganzen Tag in Erdlöchern oder Baumhöhlungen. Nux zur Zeit der Paarung lebt es mit jeinem Weibchen zuſammen; im übrigen führt es ein einſames Leben nach Art aller ihm nahe verwandten Tiere. Es hat feine beſtimmte Wohnung, ſondern benußt jeden Schlupfwinkel, welchen es nach vollbrahter Nachtwanderung mit Anbruch des Morgens entde>t. Ft ihm das Glü> beſonders günſtig und findet es eine Höhlung auf, in welcher irgend ein {wacher Nager wohnt, ſo iſt ihm das natüxlih um ſo lieber; denn dann muß der Urbewohner einer ſolchen Behauſung ihm glei<h zur Nahrung dienen. Es verzehrt, wie wir aus Audubons Schilderung entnehmen können, alle kleinen Säugetiere und Vögel, welche es exlangen kann, ebenſo au Eier, mancherlei Lurche, größere Kerfe, deren Larven und ſelbſt Würmer, begnügt ſih aber in Ermangelung tieriſher Nahrung mit Früchten, z. B. mit Mais und nahrungshaltigen Wurzeln. Blut zieht es allen übrigen Speiſen vor, und deshalb wütet es da, wo es fann, mit unbeſchreibliher Mordgier. Jn den Hühnerſtällen tötet es oft ſämtliche Bewohner und ſaugt dann bloß deren Blut aus, ohne ihr Fleiſh anzurühren. Dieſer Blutgenuß ſoll es wie unſere Marder berauſchen, ſo daß man es morgens nicht jelten unter dem toten Geflügel ſ{<lafend antrifft. Jm ganzen vorſichtig, wird es, ſolange es ſeiner Vlutgier frönen kann, blind und taub, vergißt jede Gefahr und läßt ſich, ohne von ſeinem Morden abzuſtehen, von den Hunden widerſtandslos erwürgen oder von dem erboſten Landmanne totſchlagen.
Allerdings iſt es nicht leicht totzuſhlagen, denn das Opoſſum hat ein zähes Leben und weiß ſi in der größten Not dur Verſtellung zu helfen. „Wohlbewußt ſeiner Widerſtandsunfähigkeit“, ſagt Audubon, „ rollt es ſich zu einer Kugel zuſammen. Je mehr der Landmann raſt, deſto weniger läßt es ſi< etwas von ſeiner Empfindung merken. Zuleßt liegt es da, nicht tot, aber erſ<öpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt — und ſo würde es daliegen, bis die Schmeißfſliege ihre Eier ihm auf den Pelz legte, wenn nicht ſein Quälgeiſt endlich fortginge. „Sicherlich“, meint der Landmann, „das Vieh muß tot ſein.“ Bewahre, Leſer, es „opoſſumt“ ihm nur etwas vor. Und kaum iſt der Feind davon, ſo macht es ſih auf die Beine und trollt ſi<h wieder in den Wald.“
Man hat dur< Beobachtung an Gefangenen mit hinlänglicher Sicherheit feſtgeſtellt, daß das Weibchen ungefähr nach vierzehntägiger Tragzeit ſeine Jungen wirft oder, beſſer geſagt, aus dem Mutterleibe in den Beutel befördert. Die Anzahl der Jungen ſchwankt zwiſchen 4 und 16. Sie ſind anfänglih no< ganz formlos und ſehr klein, denn ſie haben ungefähr die Größe einer Erbſe; Augen und Ohren fehlen, nicht einmal die Mundſpalte iſt deutlich, obwohl ſie natürlich hinlänglich ausgebildet ſein muß, um als Verbindungsmittel zwiſchen dem Jungen und der Mutter zu dienen. Der Mund entwielt ſi auch viel eher
Brehm, Tierleben. 3. Auflage. 1 45