Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Hauseſel: Geiſtiges Weſen. Nahrung. Fortpflanzung. 75

Der Eſel begnügt ſi mit der ſchlechteſten Nahrung, mit dem kärglihſten Futter. Gras und Heu, welches eine wohlerzogene Kuh mit Abſcheu verratendem Schnauben liegen läßt und das Pferd unwillig verſhmäht, ſind ihm noh Leckerbiſſen: ex nimmt ſelbſt mit Diſteln, dornigen Sträuchern und Kräutern vorlieb. Bloß in der Wahl des Getränkes iſt er ſorgſam; denn ex rührt kein Waſſer an, welches trübe iſt; ſalzig, bra>ig darf, rein muß es ſein. Jn Wüſten hat man oft ſehr große Not mit dem Eſel, weil ex, alles Durſtes ungeachtet, niht von dem trüben Schlauchwaſſer trinken will.

Bei uns fällt die Roßzeit des Eſels in die lebten Frühlings - und erſten Sommermonate; im Süden iſt er eigentli<h das ganze Fahr hindur<h roſſig. Der Hengſt erklärt der Eſelin mit dem ohrzerreißenden, wohlbekannten „J—a, J—a“ ſeine Liebe und hängt den langgezogenen, fünf- bis zehnmal wiederholten Lauten noch ein ganzes Dußend ſ<hnaubender Seufzer an. Solche Liebesbewerbung iſt unwiderſtehlich; ſie äußert ſelbſt auf alle Nebenbuhler ihre Macht. Man muß nux in einem Lande gelebt haben, wo es viele Eſel gibt, um dies zu erfahren. Sobald eine Eſelin ihre Stimme hören läßt, — wel< ein Aufruhr unter der geſamten Eſelei! Der nächſtſtehende Hengſt fühlt ſi<h überaus geſhmeielt, derjenige zu ſein, welcher die für ihn ſo anſprehenden Töne ſofort pflichtſchuldigſt beantworten darf, und brüllt aus Leibesfkräften los. Ein zweiter, dritter, vierter, zehnter fällt ein: endlih brüllen alle, alle, alle, und man möchte taub oder halb verrückt werden über ihre Ausdauer. Ob dieſes Mitſchreien auf zartem Mitgefühle oder nur in der Luſt am Schreien ſelbſt beruht, wage ih niht zu entſcheiden; ſo viel aber iſt ſicher, daß ein Eſel alle übrigen zum Brüllen anregen kann. Die vorhin beſchriebenen Eſelbuben Kairos, denen die Stimme ihrer Brottiere viel Vergnügen zu machen ſcheint, we>en das geſittete Dhren ſo fürhterlih rührende „J—a“ einfa<h dadurch, daß ſie die erſten Töne jenes unnachahmlichen, furzgeſtoßenen „Ji, Ji, Ji“, welches dem Hauptinhalte der Eſelsrede vorausgeht, nachahmen: dann übernimmt ſchon einer der Eſel die Mühe, die freudige Erregung weiter fortzupflanzen.

Etwa 11 Monate nah der Paarung — gewöhnli<h nimmt man einen Zeitraum von 290 Tagen an — wirft die Eſelin ein (höchſt ſelten au< zwei) vollkommen ausgebildetes, ſehendes Junges, le>t es mit großer Zärtlichkeit ab und bietet ihm ſchon eine halbe Stunde nach ſeiner Geburt das Euter dar. Nah 5—6 Monaten kann das Fohlen entwöhnt werden; aber es folgt no< lange ſeiner Mutter auf allen Wegen nah. Es verlangt auch in der zarteſten Jugend feine beſondere Wartung oder Pflege, ſondern begnügt ſich, wie ſeine Eltern thun, mit jeder Nahrung, welche ihm gereiht wird. Gegen Witterungseinflüſſe iſt es wenig empfindli<, und daher erkrankt es auch nicht fo leiht. Es iſt ein überaus munteres, lebhaftes Tier, welches ſeinen Mutwillen und die innere Fröhlichkeit ſeines Herzens dur die poſſierlihſten Sprünge und Bewegungen zu erkennen gibt. Jedem anderen Eſel geht es mit großer Freude entgegen, aber au<h an den Menſchen gewöhnt es ſi<. Wenn man es von der Mutter trennen will, gibt es auf beiden Seiten große Not. Mutter wie Kind widerſeben ſich und geben, wenn ihnen dies niht hilft, ihren Shmerz und ihre Sehnju<ht noch tagelang dur<h Schreien oder wenigſtens dur lebhafte Unruhe zu erkennen. Bei Gefahr verteidigt die Alte ihr Kind mit Mut und gibt ſich ſelbſt lieber preis, achtet ſogar Feuer und Waſſer nicht, wenn es gilt, ihren Liebling zu ſhüßen. Schon im zweiten Jahre iſt der Eſel erwachſen; aber erſt im dritten Fahre erreicht er ſeine volle Kraft. Ex kann, auh wenn er tüchtig arbeiten muß, ein ziemli<h hohes Alter erlangen : man kennt Beiſpiele, daß Eſel 40—50 Fahre alt wurden.

Y Schon ſeit alten Zeiten hat man Pferd und Eſel miteinander gepaart und durch ſolche Kreuzung Blendlinge erhalten, welhe man Maultiere nennt, wenn der Vater,