Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Stimme. Sinnesfähigkeiten. 11

oder Strophen ſcharf und beſtimmt vorgetragen und deutlich abgeſegt, ſo nennen wir das Lied Schlag, während wix von Geſang reden, wenn die Töne zwar fortwährend wehſeln, ſih jedo<h nicht zu einer Strophe geſtalten. Die Nachtigall oder der Edelfink ſ{lagen, die Lerche oder der Stiegliß ſingen. Jeder Singvogel weiß übrigens Abwechſelung in ſein Lied zu bringen, und gerade deshalb wirkt es ſo mähtig auf uns. Auch die Gegend trägt zur Änderung das ihrige mit bei; denn dieſelben Arten ſingen im Gebirge anders als in der Ebene, wenn ſi< auh das Wie nur von einem Kenner herausfühlen laſſen will. Ein guter Shläger oder Sänger in einer gewiſſen Gegend kann tüchtige Schüler bilden, ein ſchlechter aber auch gute verderben: die jüngeren Vögel lernen von den älteren ihrer Art, nehmen aber leider, wie Menſchenkinder, lieber das Mangelhafte als das Vollendetere an. Einzelne begnügen ſih niht mit dem ihnen urſprünglich eigenen Liede, ſondern miſ chen ihm einzelne Töne oder Strophen anderer Vögel oder ſogar ihnen auffallende Klänge und Geräuſche ein. Sie nennen wir Spottvögel, obwohl wir ihnen mit dieſer Bezeichnung Unrecht thun. Singvögel im eigentlihen Sinne des Wortes, alſo ſolche, welche niht bloß die Singmuskeln am unteren Kehlkopfe haben, ſondern auch wirklih ſingen, gibt es in allen Ländern der Erde, jedo<h vorzugsweiſe in denen des nördlichen gemäßigten Gürtels.

Schon vorhin wurde angedeutet, daß keine Sinnesfähigkeit der Vögel verkümmert iſt. Dieſer S<hluß läßt ſih aus der einfachen Betrachtung des Sinneswerkzeuges ziehen, erhält aber doch erſt dur< Beobachtung ſeine Beſtätigung. Alle Vögel ſehen und hören ſehr ſ{harf, einzelne beſißen ziemlih feinen Geruch, andere wenn auh beſchränkten Geſ<hma> und alle wiederum feines Gefühl, wenigſtens ſoweit es ſi<h um das Empfindungsvermögen handelt. Die leichte, äußere und innere Beweglichkeit des Auges geſtattet dem Vogel, ein ſehr weites Geſichtsfeld zu beherrſchen und innerhalb dieſes einen Gegenſtand mit einer für uns überraſenden Schärfe wahrzunehmen. Raubvögel unterſcheiden kleine Säugetiere, Kerfjäger fliegende oder ſitzende Kerbtiere auf erſtaunliche Entfernung. Fhr Auge bewegt ſich fortwährend, weil der Brennpunkt für jede Entfernung beſonders eingeſtellt werden muß. Hiervon kann man ſi< durc einen einfachen Verſuh überzeugen. Nähert man die Hand dem Auge eines Raubvogels, beiſpielsweiſe dem eines Königsgeiers, deſſen lichtfarbige Regenbogenhaut die Beobachtung erleichtert, und merkt man auf die Größe des Sternes, ſo wird man ſehen müſſen, daß dieſe ſi beſtändig in demſelben Maße verengert und erweitert, als man die Hand entfernt oder nähert. Nur hierdur<h wird es erklärlich, daß dieſe Vögel, wenn ſie Hunderte von Metern über dem Erdboden ſ{<hweben, kleinere Gegenſtände wahr-

- nehmen und auch in der Nähe ſehr ſcharf ſehen können. Von dem vortrefflichen Gehöre der Vögel gibt ſchon ihr Geſang uns Kunde, da dieſer erſt eingelernt werden muß. Wir fönnen uns von ſeiner Schärfe dur unmittelbare Beobachtung überzeugen. Scheue Vögel werden oft nur dur das Gehör auf eine Gefahr aufmerkſam gemacht; gewöhnte Hausvögel achten auf den leiſeſten Anruf. Daß die großohrigen Eulen bei ihrer Jagd das Gehör ebenſowohl benußen werden wie das Geſicht, läßt ſich mit Beſtimmtheit annehmen, wenn ſchon bis jeßt noh nicht beweiſen; doh ſtehen auch ſie den feinhörigen Säugetieren wahrſcheinlih noh nach: es liegen wenigſtens feine Beobachtungen vor, welche uns glauben machen können, daß irgend ein Vogel ebenſo fein hört wie eine Fledermaus, eine Kate oder ein Wiederkäuer.

Über den Geruchsfinn herrſchen no< heutigestags ſehr verſchiedene Meinungen, weil man ſi< in entſchiedenen Fabeleien gefallen hat. Daß der Rabe das Pulver im Gewehre rieche, iſt auh jeht noh bei vielen Jägern eine ausgemachte Sache; daß der Geier auf viele Kilometer hin Aasgeru< wahrnehme, wird ſelbſt noh von manchem Forſcher geglaubt: daß erſteres nicht der Fall, braucht nicht erwähnt zu werden, daß lebteres unrichtig, kann ih, auf vielfache eigene Beobachtungen und die Erfahrungen anderer geſtüßt, mit Entſchiedenheit behaupten. Ein gewiſſes Maß von Geruch iſt gewiß nicht zu leugnen: dies