Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
112 Ein Bli>k auf das Leben der Geſamtheit.
beweiſen uns alle Vögel, mit denen wir hierauf bezügliche Beobachtungen anſtellen; von einer Witterung aber, wie wir ſie bei Säugetieren wahrnehmen, kann unter ihnen gewiß niht die Rede ſein. Auch der Geſhma> der Vögel ſteht dem der Säugetiere unzweifelhaft nac. Wir bemerken zwar, daß jene gewiſſe Nahrungsſtoffe anderen vorziehen, und {ließen daraus, daß es geſchehe, weil die gedachten Stoffe für ſie einen höheren Wohlgeſhma> haben als andere; wenn wir uns aber erinnern, daß die Biſſen gewöhnlich unzerſtüelt verſhlungen werden, erleidet eine etwaige Shlußfolgerung aus jener Wahrnehmung doch eine weſentliche Beeinträchtigung. Die Zunge iſt wohl eher Werkzeug der Empfindung als ſolches des Geſhma>es: ſie dient mehr zum Taſten als zum Shmeen. Bei nicht wenigen Vögeln hat gerade der Taſtſinn in der Zunge ſeinen bevorzugten Siß: alle Spechte, alle Kolibris, alle Entenvögel unterſuchen mit ihrer Hilfe die Schlupfwinkel ihrer Beute und ſcheiden dieſe dur ſie von ungenießbaren Stoffen ab. Nächſt ihr wird hauptſächlih der Schnabel zum Taſten gebraucht, ſo z. B. von den Schnepfen und Enten. Der Fuß kommt kaum in Betracht. Der Sinn des Gefühls dur< das Empfindungsvermögen ſcheint allgemein vorhanden und ausgebildet zu ſein: alle Vögel bekunden die größte Empfindlichkeit gegen Einwirkungen von außen, gegen Einflüſſe der Witterung ſowohl als gegen Berührung.
Nücfſichtlich der Fähigkeiten des Gehirnes, welche wir Verſtand nennen, ſowie hinſichtlich des Weſens der Vögel gilt meiner Anſicht nach alles, was ih {hon von den Säugetieren ſagte; ih wüßte wenigſtens keine Geiſtesfähigkeit, keinen Charakterzug der leßteren anzugeben, welcher bei den Vögeln nicht ebenfalls bemerklih würde. Ein einigermaßen aufmerkſamer Beobachter wird ſi< au< von der Thatſache überzeugen können, daß ſelbſt die zierlihſten und harmloſeſten Vögel unter Umſtänden Wutanfälle haben können und dann gelegentlih über ihresgleichen oder andere niht minder harmloſe Vögel mit außerordentlicher Wildheit, mit förmlicher Mordgier herfallen. Lange Zeit hat man das Gegenteil jener Anſchauung feſtgehalten und namentlich dem ſogenannten Naturtriebe oder „Jnſtinkte“ ausſchließliche Beeinfluſſung des Vogels zuſchreiben wollen, thut dies wohl au< heutigestags noch, gewiß aber nur deshalb, weil man entweder nicht ſelbſt beobachtet oder fich die Beobachtungen anderer niht klar gemacht hat. Man darf bei allen derartigen Fragen nicht vergeſſen, daß unſere Erklärungen von gewiſſen Vorgängen im Tierleben kaum mehr als Annahmen ſind. Wir verſtehen das Tier und ſein Weſen im günſtigſten Falle nux zum Teile. Von ſeinen Gedanken und Schlußfolgerungen gewinnen wir zuweilen eine Vorſtellung: inwieweit dieſelbe aber richtig iſt, wiſſen wir niht. Manches freilih erſcheint uns noch rätſelhaſt und unerklävrlih. Dahin gehören Vorkehrungen, welche Vögel ſcheinbar in Vorausſicht kommender Ereigniſſe treffen: ihr Aufbru<h zux Wanderung, noh ehe der Mangel an Nahrung, welchen der Winter bringt, eingetreten, Abweichungen von der ſonſt gewöhnlichen Art des Neſtbaues oder der Fortpflanzung überhaupt, welche ſi ſpäter als zwe>mäßig beweiſen; hierher gehören auch, obſchon mit weſentlicher Beſchränkung, unſere Wahrnehmung bezüglich des ſogenannten Kunſttriebes und anderes mehr.
Die Vögel ſind Weltbürger. Soweit man die Erde kennt, hat man ſie gefunden: auf den Eilanden um beide Pole wie unter dem Gleicher, auf dem Meere wie auf oder über den höchſten Spißen der Gebirge, im fruchtbaren Lande wie in der Wüſte, im Urwalde wie auf den kahlen Felskegeln, welche ſi< unmittelbar am Meere erheben. Jeder einzelne Gürtel der Erde beherbergt ſeine beſonderen Bewohner. Jm allgemeinen gehorchen auch die Vögel den Geſeßen der tieriſchen Verbreitung, indem ſie in den kalten Gürteln zwar in ungeheurer Anzahl, aber in nur wenigen Arten auftreten und mehr nah dem Gleicher hin ſtetig an Mannigfaltigkeit und Vielartigkeit zunehmen. Das ausgleichende Waſſer übt ſeinen