Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
Pflege und Wartung der Jungen. 207
ſo wird ein Teil zurü>kgenommen. Brachte ein Zeiſigmännchen ſeiner Gattin einige durch Zufall zuſammengeba>ene Ameiſenpuppen, dann nahm dieſe ſie niht im ganzen an, ſondern zupfte ſie einzeln ab, um ſie nah vorgenommener Prüfung zu verſchlu>en, vielleicht aus Sorge, daß unter ihnen einige mit mehr oder minder entwi>elten Larven ſi befinden möchten. Solche wie alle härteren Teile von Kerbtieren überhaupt werden immer ängſtlih gemieden, weil die jungen Körnerfreſſer hornige Beſtandteile ebenſowenig zu verdauen vermögen wie die Wurmſreſſer.
„Manche Mütter ſind ſo fütterungsſüchtig, daß ſie ihre Kinder förmlich martern. Ein Zeiſigweibchen pite in dieſer Sucht ſo häufig an dem Schnabelwinkel ſeines Kindes, daß dort feine Blutſtreifen entſtanden. Der Kropf eines Neſtzeiſiges war einmal ſo überfüllt, daß der Vogel wegen Beläſtigung den Schnabel längere Zeit niht zu ſchließen vermochte, der eines jungen Kanarienvogels ſo di> aufgetrieben, daß er den Kopf nicht drehen konnte, um die Federn zu bearbeiten.
„Reinlichkeit iſt zumal für junge Vögel das halbe Leben, und verkleiſterte Afterfedern ſind ein ſicheres Zeichen des Todes. Daher ſieht man Eltern und Kinder in gleicher Weiſe bemüht, dieſer erſten Bedingung Genüge zu leiſten. Jhre Triebe ergänzen ſich gegenſeitig, wie man dies beſonders während der Brütung und der erſten Lebenstage der Jungen im Neſte beobachten kann. Der Maſtdarm der Alten wie der Jungen iſt bedeutender Erweiterung fähig. Während unter gewöhnlichen Umſtänden die Entleerungen in ſehr kurzen Friſten ſtattfinden, werden ſie im Neſte beiſpielsweiſe bei Winterbrütungen, oft ſehr verzögert, zUweilen um volle 16 Stunden. Wegen dieſer langen Enthaltung erreichen die Kotballen nicht ſelten die Größe der von ihrer Trägerin gelegten Eier. Junge Vögel entleeren ſih niht, ſolange ſie von ihrer Mutter bede>t werden. Dauert ihnen dies zu lange, dann geben ſie ihre Bedürfniſſe dur<h unruhige Bewegungen nah rü>wärts zu erkennen. Augenbli>lih erhebt ſih die Mutter, und nun eilt auh, ungerufen und ungelo>t, der Vater, welcher im fleinen Niſtbauer jede Bewegung gehört und geſehen hat, ſchleunigſt herbei. Gemeinſchaftlih achtet jeßt das Elternpaar mit geſpannteſter Aufmerkſamkeit, mit niedergebeugtem Kopfe und unverwandten, glänzenden Augen auf die rü>gängigen Bewegungen ihrer Kinder. Dieſe ſchieben, mit den Nägeln in die Neſtwand eingreifend, ihren ſchwer beladenen, maſſigen Leib empor, halten, an der höhſten erreihbaren Stelle angelangt, einen Augenbli> an, bewegen ſi<, um den Kotballen zu löſen, einige Male raſch ſeitlih ſhlängelnd und treiben den angeſammelten Kot hervor, dem Anſcheine nah mehrere Millimeter weit über die Afteröffnung hinaus. Die Entfernung erſcheint ſtets etwas größer, als ſie wirklich iſt, weil die Jungen in demſelben Augenbli>e, in welchem der lebte verdünnte Teil des Kotballens ausſcheidet, bereits wieder in die Mulde hinabrutſchen, als ob ſie ja nicht mit dem Kote in Berührung ¿ommen wollten. Die kahnförmige Geſtalt des di>en Unterleibes macht es den Jungen, auh wenn ſie einmal nathläſſig ſein ſollten, ganz unmöglich, die Wand eines naturgemäßen Neſtes mit ihrem Hinterteile zu berühren. Zwiſchen beiden bleibt immer genügender Naum, um den niedergebeugten Eltern die Aufnahme der Auswurſſtoffe zu ermöglichen. Bei günſtiger Stellung warten die Eltern deren Ausſcheiden nicht einmal ab, führen vielmehr die Shnabelſpie in den After ein und ziehen den Kot heraus. Schon in der Kinderſchule wurde uns erzählt, daß die alten Vögel letzteren aus den Neſtern forttragen; ih war daher nicht wenig erſtaunt, als ih bemerken mußte, daß meine Kanarienvögel dieſen Glaubensſaß niemals beſtätigten. Ja, ih würde noh heute ſeine Richtigkeit für Stubenvögel geradezu bezweifeln, wäre ſie niht dur leßtere auh wiederum mehrfach erhärtet worden, und hätten nicht zwei Sperlingsgäſte, der eine in der Stube, der andere auf der äußeren Fenſterbank, dasſelbe gethan. Beide erregten meine Aufmerkſamkeit dadurch, daß ſie erbrehende Bewegungen machten und kleine Gegenſtände fallen ließen, welche als Kotballen junger Vögel erkennbar