Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

28 Ein Blik auf das Leben der Geſamtheit.

waren. Daß mir das Wegtragen der lebteren ein paar Jahrzehnte hindur<h unbekannt geblieben, daran waren meine Vögel, niht aber ungenügende Beobachtungen ſhuld. Habe ih doch in denſelben Jahren das natfolgende feinere und deshalb weniger leicht zu beobactende Verfahren unzählige Male bei meinen ſämtlichen Vögeln kennen gelernt. Meine Stubenvögel verſchlu>ten nämlich die Kotballen ihrer Kinder, ja, die Männchen verfolgten die mit der ſeltſamen Koſt belaſteten Weibchen, entriſſen ſie ihnen, flogen zu der bereits wieder zum Neſtrande zurückgekehrten Gattin und verfütterten die Auswurfſtoffe von neuem. Da nun die Weibchen ihren Jungen gegenüber ebenſo verfahren, macht der abſonderlihe Biſſen einen vollſtändigen Kreislauf. Für mich liefert dieſe Thatſache einen ſicheren Beweis, daß die Kotballen noh unverdaute, brauchbare Nahrungsſtoffe enthalten, was auch bei dem ſhnellen Verlaufe der Verdauung nicht zu verwundern iſ. Alles dies ändert ſih, wenn die Jungen am 6., 7. oder 9. Lebenstage ihren Unrat auf oder über den Neſtrand zu legen vermögen. Solche Auswurfsſtoffe rühren die Eltern dur<hſc<hnittlih niht mehr an, und die ſorgſameren unter ihnen bede>en lieber den Shmus leicht mit einigen Faſerſtoffen. Doch habe i< auh in dieſer Beziehung Ausnahmen beobachtet. Flügge werdende Zeiſige hatten | Kot vom Rande aus in das Junere des Neſtes fallen laſſen. Als die Mutter dieſen Übelſtand nach einiger Zeit gewahrte, hob ſie den bereits verhärteten Unrat auf, um ihn zerbröelt zu verſpeiſen. Dasſelbe wurde ſpäter bei einem Kanarienvogel beobachtet. „Neſtlinge entleeren ſich, ſobald die Mutter ſi erhoben hat, gewöhnlih gemeinſchaftlich in einer Minute und machen den Eltern deshalb viel zu ſchaffen. Haben ſie einmal ausnahmsweiſe in Abweſenheit der leßteren ihr Bedürfnis befriedigt, ſo iſt der Schade auch nicht groß. Denn die Kotballen junger Neſtlinge find bekanntlich mit einer gallertartigen Haut überzogen, welche einige Zeit vorhält und erſt dur< die Einwirkung von Luft und Wärme zerſtört wird. Die Eltern finden dadurch bei ihrer Rükkehr noh Gelegenheit, für Neinlichkeit des Neſtes zu ſorgen. Wie die alten haben auh die jungen Vögel viel von Ungeziefer aller Art zu leiden. Verſchiedenartige Milben werden allen kleinen Vogelarten zur ſchlimmſten Plage. Schon ein Dugßend dieſer Schmarogzer reicht hin, um ihnen die nähtliche Nuhe zu verkümmern. Hauptſiße der Unholde bilden Kopf und Flügel, wie man am ſicherſten an dem Zittern und Schütteln dieſer Teile beobahtet. Zſt die Plage beſonders arg, dann knirſchen und kniſtern die gequälten Vögel im Schlafe oder Traume laut mit den Schnäbeln. Fn einem Brutneſte kann die Vermehrung der Milben ſ{<re>enerregend werden. Da die Vögel im Bauer nicht ſo viele und gute Gelegenheit haben, ſi dur<h Baden oder Einſanden von den läſtigen Gäſten zu befreien, auh wiederholt in einem und demſelben Neſte brüten, werden ſie hier weit mehr beläſtigt als im Freien. Oft ſieht man ſie die Brütung unterbrechen, den Schnabel rüttelnd, tief in die Niſtſtoffe einbohren, um auf die abſcheulichen Kerbtiere zu jagen. Werden die brütenden Stubenvögel gelegentlich durch künſtliche Verdunkelung zu längerem Stillſißen veranlaßt und die verdunkelnden Vorhänge dann entfernt, ſo ſieht man, wie ſie die Eier ſhnell und heftig auseinander werfen, um den Grund der Mulde, die wärmſte und deshalb günſtigſte Pflanzſtätte des Geſindels, zu unterſuchen, wie dies bei Nichtverdunkelung der Käfige an jedem Bruttage zu wiederholten Malen zu geſchehen pflegt. Sobald die Eltern im Neſte ſih zurü>ſeßzen oder auf den Neſtrand ſtellen, bü>en ſie ſi tief herab, um den Keſſel genau zu beſichtigen. Wehe dann der Milbe, welche an der Neſtwand lagern oder auf den Eiern umherlaufen ſollte. Mehr noch als die Alten werden erklärlicherweiſe die Jungen und zwar von der erſten Ledensſtunde an durch die Schmaroßzer geplagt. Da die unmündigen Kleinen ſih nicht ſelbſt zu helfen vermögen, bedürfen ſie beſonderer Obhut ihrer Mütter. Wie oft und gern habe ih, dicht über das Neſt gelehnt, den mannigfachen Sorgen und Liebesmühen meiner Vögel zugeſchaut und mich dur< ihre treuherzigen Enthüllungen belehren laſſen. Sobald die Jungen abgetro>net ſind und