Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Sperlingsvögel: Allgenmemes. DA

einmal behauptet, daß dem Raben dieſelbe Auszeichnung zu teil werden dürfte. Gegen das eine wie gegen das andere läßt ſih wenig einwenden. Die Begabung der Sperlingsvögel iſt in der That außerordentli®h, ihre geiſtige Befähigung niht minder groß als ihre leibliche. Faſt ausnahmslos gewandt in Leibesübungen aller Art, beherrſchen ſie ſo ziemlih jedes Gebiet. Nicht alle ſind ausgezeihnete Flieger; einzelne von ihnen aber wetteifern in dieſer Beziehung mit jedem anderen Vogel, und die große Mehrzahl übertrifft noh immer alle Mitglieder ganzer Ordnungen. Auf dem Boden bewegen ſih mindeſtens die meiſten leiht und geſhi>t, die einen ſhreitend, die anderen hüpfend, wenige nur trippelnd; dichtes Gezweige dur<ſ{<lüpfen viele mit der Hurtigkeit einer Maus; am Stamme wie auf den Äſten und Zweigen klettern die einen, turnen die anderen, treiben einige Gauklerkünſte mancherlei Art. Das Waſſer ſcheuen zwax die meiſten; einige aber bemeiſtern es in einer Weiſe, welche kaum ihresgleihen hat: denn ſie laufen jagend auf dem Grunde dahin, oder dur<fliegen den donnernd und ſhäumend zur Tiefe ſtürzenden Fall.

Alle Sinne ſind wohl entwicelt. Obenan ſteht vielleiht ausnahmslos das Geſicht, nächſtdem ſcheinen Gehör und Gefühl beſonders ausgebildet zu ſein. Geſ<hmad> iſt zwar niht in Abrede zu ſtellen, ſhwerlih aber von beſonderer Bedeutung, und Geruch endli< wohl nur bei einzelnen einigermaßen ſcharf, ſo daß wir die beiden vermittelnden Sinne kaum mit Unrecht als verkümmert anſehen. Dem großen Gehirne entſpricht der ſharfe Verſtand, das tiefe Gemüt, die Lebendigkeit des Weſens, welche Eigenſchaften der großen Mehrzahl aller Sperlingsvögel zugeſprochen werden müſſen. Wer ſie kennt, wird ſie gewiß nicht geiſtesarm ſchelten, er müßte denn die Beweiſe des Gegenteiles, welche ſie tagtäglich geben, niht gelten laſſen wollen. Die meiſten von ihnen ſind allerdings gutmütige und vertrauensſelige Vögel, welche falſche Beurteilung wohl möglich erſcheinen laſſen; alle aber bekunden bei entſprechender Gelegenheit volles Verſtändnis für maßgebende Verhältniſſe. Sie lernen ihre Feinde kennen und würdigen, Gefahren ausweichen, wie ſie mit ihren Freunden innigen Umgang pflegen und deren Wirtlichkeit wohl beherzigen: ſie ändern alſo ihr Betragen je nah den Umſtänden, je nah Zeit und Örtlichkeit, je nah den Menſchen, mit denen ſie verkehren, nah Verhältniſſen, Ereigniſſen, Begebenheiten. Sie ſind groß in ihren Eigenſchaften und Leidenſchaften, geſellig, friedfertig und zärtlich, aber au<h wiederum ungeſellig, ſtreitluſtig, dem ſonſt ſo geliebten Weſen gegenüber gleichgültig; ſie ſind feurig in der Zeit ihrer Liebe, daher auch eiferſüchtig, eigenwillig und ehrgeizig; ſie kämpfen, wenn es gilt, mit Klaue und Schnabel wie mit der ſingfertigen Kehle, im Fluge wie im Sißen, mit denſelben Artgenoſſen, in deren Vereine ſie friedlich ſi< bewegen, denen ſie die größte Anhänglichkeit widmen, um derentwillen ſie ſi vielleicht dem Verderben preisgeben. So lebendiges Gefühl iſt ihnen eigen, daß es nicht ſelten ihren Verſtand übermeiſtert, einzelne vollſtändig überwältigt, ihnen alle Beſinnung und ſelbſt das Leben raubt. Niemand wird dies in Abrede ſtellen können; denn jeder, welcher beobachtete, hat Erfahrungen geſammelt, welche es beweiſen: ſei es, daß er wahrnahm, wie ein Sperlingsvogel einem hilfsbedürftigen, hwachen und kranken Barmherzigkeitsdienſte übte; ſei es, daß er bemerkte, wie gezähmte Käfigvögel aus dieſer ganzen Sippſchaſt ihrem Pfleger und Gebieter alle Liebe bethätigten, deren ſie fähig ſind, wie ſie trauernd ſhwiegen, wenn er abweſend war, wie ſie freudig ihn begrüßten, ſobald ſie ihn wiederſahen; ſei es endlich, daß er mit Verſtändnis einem der herrlichen Lieder lauſchte, dur< welche gerade dieſe Vögel uns zu bezaubern wiſſen. Ein vortreffliches Gedächtnis, welches den meiſten zugeſprochen werden darf, trägt weſentli dazu bei, ihren Geiſt auszubilden und zu vervollkommnen.

Daß ſo lebendigen und leidenſchaftlichen Tieren faſt ununterbrochene Regſamkeit zur Notwendigkeit wird, iſt begreiflih. Träumeriſcher Unthätigkeit entſchieden abhold, bewegen ſie ſi, wirken und handeln ſie ohne Unterlaß vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend.