Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

40 Erſte Ordnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

ihrer aber ſind ſo wenige, daß man ihre Thätigkeit dem Wirken der Geſamtheit gegenüber aum in Anſchlag bringen darf. Weitaus die meiſten Arten erwerben ſih dur< Vertilgung [<hädlicher Kerbtiere, Shne>en und Würmer hohe Verdienſte um unſere Nußpflanzen und niht wenige beleben durch ihre köſtliche Begabung, zu ſingen, Wald und Flux in fo hohem Grade, daß ſie uns den Frühling erſt zum Frühlinge ſtempeln. Sie würden wir niht miſſen mögen, ſelbſt wenn ſie {hädli< ſein ſollten. Gerade die beſten Sänger aber bringen uns nur Nußen; die ſchädlichſten ſind diejenigen, welche als Stümper im Geſange bezeichnet werden müſſen. Hierher haben wir zu re<nen einzelne Raben, hierher auh mehrere kleine Finken und Webervögel, welche zwar dur< Aufleſen von Unkrautgeſämen und gelegentlichen Fang von RKerbtieren ebenfalls Nuzen bringen, zu gewiſſen Zeiten aber, wenn ſie zu großen Schwärmen vereinigt in reifendes Getreide oder fruchttragende Obſtbäume einfallen, do< auch re<t läſtig werden können. Nicht unſer Bauer allein ſieht in ſolhen Vögeln unliebſame Gäſte, auch die Völkerſchaften anderer Erdteile klagen über den Schaden, welchen ſie durch die kleinen Körnerfreſſer erleiden. Die Menge macht leßtere furchtbar; denn es iſt in der That niht gleihgültig, Hunderte und Tauſende von kleinen Freſſern ernähren und zuſehen zu müſſen, wenn die ungenügſamen nebenbei no< ebenſoviel verwüſten, als ſie verzehren. JFhnen gegenüber rechtfertigt ſih thatkräftige Abwehr um ſo mehr, da ihr Fleiſch mit Recht als le>eres Gericht betrahtet werden kann. Aber auc der Fang einzelner, in großer Anzahl auftretender, niht ſchädliher Arten, beiſpielêweiſe der Droſſeln, iſt tein ſo unſühnbares Verbrechen, wie man zu behaupten pflegt; in keinem Falle wenigſtens tragen die Vogelſteller allein die Schuld an der Abnahme dieſer Vögel ſoweit eine ſolche überhaupt erwieſen werden konnte. Demungeatet empfiehlt es ſi, für ſie in die Schranken zu treten; denn alle Sperlingsvögel insgemein, die wenigen ſtarken und Jehr gewandten unter ihnen ausgeſchloſſen, haben ohnehin von den verſchiedenartigſten Feinden zu leiden.

Mindeſtens ebenſo viele Sperlingsvögel, als man in unſerer Zeit dem Moloch Magen opfert, werden gefangen, um als Stubengenoſſen des Menſchen zu dienen. Keine andere Sippſchaſt der Klaſſe liefert ſo viele Käfigvögel wie dieſe. Fhnen entnehmen wir das einzige Haustier, welches wir im eigentlichen Sinne des Wortes im Käfige halten, ihnen gewähren wir das Vorreht, uns mitten im Winter Lenz und Lenzesgrün vorzutäuſchen. Gefühlsüberſhwengliche Seelen haben geklagt und gejammert über die armen gefangenen Vögel im Käfige, in ihrer Beſchränktheit aber vergeſſen, daß auh der Stubenvogel nichts anderes iſt als ein Haustier, beſtimmt, dem Menſchen zu dienen. Ein Säugetier zu züchten, zu mäſten, zu ſchlachten, zu verſpeiſen, findet jedermann in der Ordnung; einen Vogel zu fan= gen, mit aller Liebe zu pflegen, ihm den Verluſt ſeiner Freiheit ſo gut wie möglich zu erſeßen, um dafür als Dankeszoll die Freude zu ernten, ſeinem Liede lauſchen zu dürfen, bezeichnet man als ungerechtfertigte Beraubung der Freiheit eines hochedeln Weſens. Nun, wir werden Uns deshalb unſere Freude an den Vögeln und ſomit auh an unſeren Stubengenoſſen niht beſhränken noh verkümmern laſſen, nah wie vor die gefiederten Freunde fangen und pflegen und diejenigen, welche kein Verſtändnis für unſere Freude gewinnen wollen, höchſtens im innerſten Herzen beklagen.

Über die Einteilung dieſer artenreichſten Sippſchaft, bei deren Schilderung ih mi mehr als bei irgend einer anderen beſchränken muß, herrſchen ſo verſchiedene Auffaſſungen, daß man behaupten darf, jeder einigermaßen ſelbſtändig arbeitende Forſcher befolge ſein eignes Syſtem. Alle Verſuche, ſih zu einigen, ſind bis jeßt geſcheitert. Wir kennen die Sperlingsvögel noch viel zu wenig, als daß wir über ihre Verwandtſchaften in allen Fällen zweifellos ſein Éönnten. Einige erachten es als richtig, die Geſamtheit in zwei Unterabteilungen, die der Sing- und Schreivögel, zu zerfällen, je nahdem die Singmuskeln am