Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
44 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.
erſtre>t. Sie bevorzugt die Ebene, meidet aber auh bergige Gelände niht gänzlih, vorausgeſeßt, daß es hier an Laubbäumen und Geſträuchern niht mangelt. Fn der Schweiz iſt ſie, nah Tſchudi, in einem Höhengürtel von 1000 m über dem Meere „nicht ganz ſelten“, in Spanien nach eignen Beobachtungen in gleicher Höhe überall und 600 m höher noh regelmäßig zu finden. Laubwaldungen mit viel Unterholz, noch lieber Buſchwerk, welches von Bächen und Waſſergräben dur<ſchnitten wird, die Ufer größerer Gewäſſer und Gärten, in denen es heimliche Gebüſche gibt, ſind ihre Lieblingspläße. Hier wohnt Paar an Paar, ein jedes allerdings in einem beſtimmt umgrenzten Gebiete, welches ſtreng bewacht und gegen andere mutvoll verteidigt wird. Wo es Örtlichkeiten gibt, welche ihren Anforderungen genügen, iſt ſie ſtets häufig, bei uns zu Lande aber Doh in geringeren: Grade als in Südeuropa. Hier hat mich die Menge der Nathtigallen, welche einen und denſelben Landesteil oder Garten bewohnen, in Erſtaunen geſeßt. Man ſagt kaum zu viel, wenn man behauptet, daß in Spanien zum Beiſpiel geeigneten Ortes in jeder Hede oder in jedem Buſche ein Nachtigallenpärchen herbergt. Ein Frühlingsmorgen auf dem Montſerrat, eine abendliche Luſtwandlung innerhalb der Ringmauern der Alhambra wird jedem unvergeßlich bleiben, welcher ein Ohr hat, zu hören. Man vernimmt 100 Nachtigallen zu gleicher Zeit; man hört allüberall das eine Lied. Die ganze, große, grüne Sierra Morena darf als ein einziger Nachtigallengarten angeſehen werden, und ſolcher Gebirge gibt es no< viele. Man begreift niht, wie es möglich iſt, daß ein ſo kleines Stück Erde, wie hier zur Verteilung kommt, zwei ſo anſpru<hsvolle Vögel nebſt ihrer zahlreichen Brut ernähren kann. Genau dasſelbe gilt nah meinen ſpäteren Erfahrungen au für Südungarn, woſelbſt ſie den früher dort häufig geweſenen Sproſſer mehr und mehr zu verdrängen ſcheint und niht wie vormals, allein im Gebirge, ſondern auh im Doñùauthale auftritt.
Das Verbreitungsgebiet des Sproſſers begrenzt den Wohnkreis der Nachtigall im Norden und Oſten. Er iſt die häufigſte Nachtigall Dänemarks und die einzige, welche in Skandinavien, dem öſtlihen Pommern und ganz Nord- und Mittelrußland gefunden wird, erſeßt die Verwandte ebenſo in Polen und vielleicht auch in Galizien, bewohnt no< immex, wenn auch ſehr einzeln, das mittlere Donauthal von Wien abwärts und tritt endlih jenſeiis des Urals in allen Fluß- und Stromthälern der Steppe Weſtſibiriens auf, hat ſi gerade hier auch die volle Reinheit, Fülle und Reichhaltigkeit ſeines Schlages bewahrt und entzückt no< heute das Ohr des Reiſenden durch dieſelben Strophen, welche unſere Väter begeiſterten. Beide Nachtigallen wandern im Winter nah Mittel- und Weſtafrika, der Sproſſer wahrſcheinlih au< na< ſüdlihen Ländern Aſiens.
Nachtigall und Sproſſer ſtimmen unter ſi in allen weſentlichen Zügen ihrer Lebensweiſe ſo vollſtändig überein, daß man bei deren Schilderung ſi faſt auf eine Art beſhränken kann. Auch ih werde dies im Nachſtehenden thun und vorzugsweiſe die Nachtigall ins Auge faſſen. Da, wo dieſe köſtlihe Sängerin des Schußes ſeitens des Menſchen ſi verſichert hält, ſiedelt ſie ſi< unmittelbar bei deſſen Behauſung an, bekundet dann nicht die mindeſte Scheu, eher eine gewiſſe Dreiſtigkeit läßt ſich daher ohne Mühe in ihrem Thun und Treiben beobachten. „Jm Betragen der Nahtigall“ ſagt Naumann, deſſen noh heute unübertroffener, niht einmal erreichter Schilderung ih folgen werde, „zeigt ſi ein bedächtiges, ernſtes Weſen. Fhre Bewegungen geſchehen mit Überlegung und Würde; ihre Stellungen verraten Stolz, und ſie ſteht durch dieſe Eigenſchaften gewiſſermaßen über alle einheimiſchen Sänger erhaben. Jhre Gebärden ſcheinen anzudeuten, ſie wiſſe, daß ihr dieſer Vorzug allgemein zuerkannt wird. Sie iſt ſehr zutraulich gegen die Menſchen, wohnt gern in ihrer Nähe und zeichnet ſi< dur< ein ruhiges, ſtilles Benehmen aus. Gegen andere Vögel zeigt ſie ſich ſehr friedfertig; auch ſieht man ſie nur ſelten mit ihresgleichen zanken.“