Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
Nachtigall und Sproſſer: Verbreitung. Aufenthalt. Schlag. 45
Gewöhnlih gewahrt man ſie, niedrig über dem Boden auf Zweigen ſizend, ziemlih auf: gerichtet, den Schwanz erhoben, die Flügel ſo tief geſenkt, daß ihre Spißen unter die Schwanzwurzel zu liegen kommen. Fm Gezweige hüpft ſie ſelten, wenn es aber geſchieht, mit großen Sprüngen umher; auf dem Boden trägt ſie ſi< hoh aufgerichtet und ſpringt, den Shwanz geſtelzt, mit förmlihen Säßen, wie Naumann fagt, „ſtolz“ dahin, immer in Abſäßen, welche dur<h einen Augenbli> der Ruhe unterbrochen werden. Crregt irgend etwas ihre Aufmerkſamkeit, ſo ſ<hnellt ſie den Shwanz kräftig und jählings empor; dieſe Bewegung wird überhaupt bei jeder Gelegenheit ausgeführt. Jhr Flug iſt ſchnell, leicht, in ſteigenden und fallenden Bogen, auf kleinen Räumen flatternd und wankend; ſie fliegt aber nur furze Stre>en, von Buſh zu Buſch, und am Tage nie über freie Flähen. Daß ſie auh ſehr ſ<hnell fliegen kann, ſieht man, wenn zwei eiferſüchtige Männchen ſich ſtreitend verfolgen. Y
Die Lo>ſtimme der Nathtigall iſ ein helles gedehntes „Wid“, dem gewöhnlih ein ſnarrendes „Karr“ angehängt wird. Geängſtigt, wiederholt ſie das „Wiid“ oft nacheinander und ruft nur ab und zu einmal „arr“. Jm Zorne läßt ſie ein unangenehmes „Räh“, in behaglicher Gemütsſtimmung ein tiefklingendes „Tak“ vernehmen. Die Jungen rufen anfangs „füid“, ſpäter „froäk“. Daß alle dieſe Umgangslaute durch verſchiedene Betonung, welche unſerem Ohre in den meiſten Fällen entgeht, auh verſchiedene Bedeutung gewinnen, iſt ſelbſtverſtändlih. Der Schlag, welcher der Nachtigall vor allem anderen unſere Zuneigung erworben hat, und den aller übrigen Vögel, mit alleiniger Ausnahme der nähſten Verwandten, an Wohllaut und Reichhaltigkeit übertrifſt, iſt, wie Naumann trefflich ſchildert, „ſo ausgezeichnet und eigentümlich, es herrſcht in ihm eine ſolhe Fülle von Tönen, eine ſo angenehme Abwechſelung und eine ſo hinreißende Harmonie, wie wix in keinem anderen Vogelgeſange wieder finden. Mit unbeſchreibliher Anmut wechſeln ſanft flötende Strophen mit ſchmetternden, klagende mit ſröhlichen, ſchmelzende mit wirbelnden; während die eine ſanft anfängt, nah und nach an Stärke zunimmt und wiederum erſterbend endigt, werden in der anderen eine Reihe Noten mit geſhma>voller Härte haſtig angeſchlagen und melancholiſche, den reinſten Flötentönen vergleichbare, ſanft in fröhlichere verſ<hmolzen. Die Pauſen zwiſchen den Strophen erhöhen die Wirkung dieſer bezaubernden Melodien, ſowie das ſie beherrſchende mäßige Tempo trefflich geeignet iſt, ihre Schönheit rect zu erfaſſen. Man ſtaunt bald über die Mannigſaltigkeit dieſer Zaubertöne, bald über ihre Fülle und außerordentliche Stärke, und wir müſſen es als ein halbes Wunder anſehen, daß ein ſto fleiner Vogel im ſtande iſt, ſo kräftige Töne hervorzubringen, daß eine ſo bedeutende Kraft in ſolchen Kehlmuskeln liegen kann. Manche Strophen werden wirklich mit ſo viel Gewalt hervorgeſtoßen, daß ihre gellenden Töne dem Ohre, welches ſie ganz in der Nähe hört, wehe thun.“
Der Schlag einer Nachtigall muß 20—24 verſchiedene Strophen enthalten, wenn wir ihn vorzüglich nennen ſollen; bei vielen Schlägern iſt die Abwechſelung geringer. Die Ork lichkeit übt bedeutenden Einfluß aus; denn da die jungen Nachtigallen nur durch ältere ihrer Art, welche mit ihnen dieſelbe Gegend bewohnen, gebildet und geſchult werden können, iſt es exflärlih, daß in einem Gaue faſt ausſchließlih vorzügliche, in dem anderen hingegen beinahe nur mittelmäßige Schläger gehört werden. Ältere Männchen ſchlagen regelmäßig beſſer als jüngere; denn au< bei Vögeln will die edle Kunſt geübt ſein. Am feurigſten tönt der Slag, wenn die Eiferſucht ins Spiel kommt; dann wird das Lied zur Waffe, welche jeder Streiter beſtmöglich zu handhaben ſucht. Einzelne Nachtigallen machen ihren Namen inſofern wahr, als ſie ſich hauptſächlich des Nachts vernehmen laſſen, andere ſingen faſt nux bei Tage. Während des erſten Liebesrauſches, bevor noh das Weibchen ſeine Eier gelegt hat, vernimmt man den herrlichen Schlag zu allen Stunden der Nacht; ſpäter wird