Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

502 Erſte Ordnung: Baumvögel; ahtundzwanzigſte Familie: Spechte.

und dadurch von dem anderer Spechte verſchieden, daß er ſehr tiefe Bogenlinien beſchreibt. Die Stimme iſt ein helles, weit tönendes „Glü>“, das, wenn es oft wiederholt wird, einem durchdringenden Gelächter ähnelt, der Laut der Zärtlichkeit ein wohltönendes „Gü“, „Gä“ oder „Kipp“, der Angſtruf ein häßliches Gekreiſh. Das ſo vielen anderen Spechten gemeinſame Trommeln ſcheint der Grünſpeht niht auszuführen; wenigſtens habe ih es nie vernommen. Dagegen kennt Pechuel-Loeſche ſeit mehreren Jahren einen in Jena im Nachbargarten hauſenden, der, wenn er an der gegenüberliegenden Villa Roßba << vorüberfliegt, ſi< dort häufig auf das Geſims des Obergeſchoſſes ſeßt und mehrmals ſtark auf ein hohles Stü Zinkble< hämmert. Der Vogel hat offenbar ſeine Freude an dem dröhnenden Schalle, denn er beſucht ſtets dieſelbe Stelle lediglih um zu flopfen.

Das tägliche Leben unſeres Vogels verläuft etwa folgendermaßen: ſobald der Morgentau einigermaßen abgetro>net iſt, verläßt der Grünſpecht ſeine Nachtherberge, ſchreit vergnügt in die Welt hinaus und ſchi>t ſi< an, ſein Gebiet zu dur<hſtreifen. Wenn nicht gerade die Liebe ſi< in ihm regt, bekümmert er ſi<h wenig um ſeinen Gatten, geht vielmehr ſelbſtändig ſeine Wege und kommt nur gelegentlih mit dem Ehegenoſſen zuſammen. Er ſtreift von einem Baume zum anderen, in einer gewiſſen Reihenfolge zwar, aber doh niht ſo regelmäßig, daß män ihn mit Sicherheit an einem beſtimmten Orte erwarten könnte. Die Bäume ſucht er ſtets von unten na< oben ab; auf die Äſte hinaus verſteigt er ſi ſeltener. Nähert man ſi< einem Baume, auf dem er gerade beſchäftigt iſt, ſo rutſcht er ſhnell auf die dem Beobachter abgekehrte Seite, ſchaut zuweilen, eben den Kopf vorſte>end, hinter dem Stamme hervor, klettert höher aufwärts und verläßt plößlih unbemerkt den Baum, pflegt dann aber ſeine Freude über die glü>li<h gelungene Flucht dur lautes, {rohlo>endes Geſchrei kundzugeben. Bis gegen Mittag hin iſt er in ununterbrochener Thätigkeit. Er unterſucht in den Vormittagsſtunden gewiß über 100 Bäume und nimmt außerdem jeden Ameiſenhaufen mit. An hartholzigen Bäumen hämmert ex viel weniger als andere Spechte, dagegen meißelt er nicht ſelten in das Gebälk der Wohnungen oder in Lehmwände tiefe Löher. Wenn im Sommer die Wieſen abgemäht ſind, läuft er viel auf dem Boden umher und ſucht dort Würmer und Larven zuſammen; im Winter fliegt er auf die Gehänge, von denen die Sonne den Schnee weggele>t hat, und ſpäht hier nah verborgenen Kerfen. Er iſt kein Koſtverächter, zieht aber doh die rote Ameiſe jeglicher anderen Nahrung vor und fliegt ihr zu Gefallen weit auf den Feldern umher.

Jm Ameiſenfange iſt er geſchi>ter als alle übrigen Spechte, weil ſeine Zunge verhältnismäßig länger iſt und dank ihrer Klebrigkeit in derſelben Weiſe wie beim Ameiſenfreſſer gebraucht werden kann. „Wie erpicht die Grünſpechte auf Ameiſen und deren Puppen ſind“, ſchreibt mir von Reichenau, „davon habe ih mich in den an Ameiſenhaufen reihen Waldungen um Weßlar oft überzeugt. Die anfangs lo>eren Hügel werden durch ihr eignes Gewicht und die Vermoderung der Holzteile wie durh die Einwirkung des Regens nah und nach ſo feſt, daß der Grünſpecht ſih genötigt ſieht, mit ſeinem ſpißigen Keilſhnabel einen Weg zu bahnen, um zu ſeiner Lieblingsnahrung zu gelangen. Zur Winterszeit nun ſte>en die Ameiſen ſehr tief in der Erde, und der hungrige Specht ſieht ſih dann genötigt, bis zu 30 ecm tiefe Löcher, ähnlich den in morſchen Stämmen und Äſten angelegten Schlupfund Niſthöhlungen, auszumeißeln, um die in halber Erſtarrung liegenden Kerfe zu erhalten. Bei dieſem Geſchäfte iſt er natürlih im Sehen und Umſchauhalten beſchränkt; der Hunger läßt ihn ſeine ihm ſonſt eigne Vorſicht vergeſſen, und es fällt alsdann einem Raubtiere gewiß leicht, ſeiner habhaft zu werden: griff doh mein ehemaliger Fagdgenoſſe Weber einen völlig geſunden Vogel dieſer Art, der in ſolher Weiſe beſchäftigt war, mit der Hand.“ Dasſelbe wird von mehreren anderen Beobachtern mitgeteilt, ſo auffallend es auch erſchei: nen will, daß der ſonſt ſehr vorſichtige Vogel ſi in ſo plumper Weiſe übertölpen läßt. Außer